Streiflichter IV - In Caldun 2
"Aber wieder und wieder ist es Verrat, der dem Feind die Tore oeffnet. Wissen unsere Krieger denn nicht, welch furchtbares Schicksal sie und
ihre Familien erwartet? Maenner werden abgeschlachtet, Frauen diesen grauenerregenden Monstern vorgeworfen. Was versprechen sich diese verraeterischen Hunde denn nur? Gold? Silber?"
Muede winkte sein Gespraechspartner ab. "Ich kann es dir auch nicht sagen. Vielleicht ihr Leben? Vielleicht haben sie die Hoffnung auf
unseren Sieg aufgegeben. Verdenken koennt ich ihnen das nicht." "Was!" fuhr nun der andere auf. "Wir haben bei Syros und bei Caldun gesiegt! Wer kann daran zweifeln, dass wir auch Devur
befreien?"
"Und dann sieht es dort so aus wie hier." Der Sprecher machte eine umfassende Bewegung mit der Rechten. "Manchmal bin ich dieses ewigen Kampfes muede. Manchmal moechte ich
all die mit mir nehmen, an denen mein Herz haengt, ein Schiff besteigen und raus aus dem Gruenen Meer, in den Klados, ins Reich Artanasien, ins Reich des Friedens und der Gerechtigkeit segeln. Manchmal . . ."
Hecatas musterte ihn misstrauisch. "Und deshalb hast du jenes Dokument aufgesetzt, das du mir am gestrigen Tag gezeigt hast, mit dem du dein Schicksal an das von Bofri, an das des
Kaisers, kettest? Du willst segeln wenn er stirbt?"
Der andere Mann schien unmerklich zu nicken. Doch antwortete er nicht auf die Frage des Freundes. Dieser schuettelte den Kopf.
"Und manchmal, heute wieder, verstehe ich dich nicht. Du hast die Aeri besiegt, die Karalo-Floraner, die Bagunder! Du hast keinen Grund im Truebsinn zu versinken, das ist nicht dein
Wesen! Der Kaiser hat fast alle deine Titel bestaetigt. Nuetze das was dir zukommt! Verschwende es nicht indem du hier in Caldun den tragischen Philosophen spielst waehrend Bofri in Chalkis oder Chairedia wahrhaftig
ein Koenig wird!"
"Vielleicht sollte er es bleiben. Vielleicht sollte ich segeln, egal ob er getoetet wird oder nicht."
"Vielleicht, vielleicht! Vielleicht solltest du dich im Hafen ertraenken! Nicht so ehrenvoll wie im Kampf gegen die Aeri zu sterben aber deiner Stimmung angepasst. Chaireddin haette
. . ."
"Halt!" unterbrach ihn der andere. "Nicht wieder Chaireddin! Nicht wieder der Spruch, wenn er noch lebte." Der Sprecher war stehengeblieben und stemmte die Faeuste in
die Hueften. "Chaireddin!" wuetend stiess er den Namen hervor, "Ich bin es muede, staendig mit ihm verglichen zu werden. Siege, Anian. Zwing ganz Myra in die Knie. Du bist kein Chaireddin, weisst du
das! Sei tapferer als der Tapferste, weiser als der Weiseste, staerker als der Staerkste - du wirst kein Chaireddin. Tu was du willst, Chaireddin hat es besser gemacht. Besser regiert und besser geliebt - viel
besser. Geh wohin du willst, soweit du kannst, du entkommst ihm nicht. Der Schatten Chaireddins ist ueber dir und ueber dem Universum, fuer alle Zeit! Ich habe Karalo-Floran, Bagund und die barbarischen Aeri
geschlagen, sagst du? Und was hoere ich? Chaireddins Siege sind unuebertrefflich! Und wo ist Anian? Wo ist Anian Turcas, Anian der Grosse, der goettliche Anian? Hier, hier ist er. Hier - Chaireddin auf dem Fusse
folgend, immer an der Seite Chaireddins, immer im Schatten Chaireddins. Ihr alle weigert euch, ihn zu vergessen!" Anian Turcas hatte sich in Wut geredet, das leichte Laecheln des Hecatas entging ihm dabei.
"Wir weigern uns, ihn zu vergessen? Welch merkwuerdiger Ausdruck. Laeufst du hier durch die Nacht, triefend vor Naesse und Selbstmitleid, um Chaireddin zu besiegen? Warum gibst du
alles verloren? Du hast Heere die dir ergeben sind, Staedte die dir ihre Tore oeffnen, Freunde und Gefaehrten die an deiner Seite stehen! Gib nicht alles verloren!"
"Goetter Myras!" fuhr Anian auf und hieb mit der Faust gegen eine der schwarzen Haeuserwaende neben ihm. Der kurze Schmerz liess ihn unwillkuerlich das Gesicht verziehen.
"Tue ich das? Ich will es nicht! Solange der Kaiser lebt und guten Willens ist, ist nicht alles verloren. Doch muss ich ihm Einhalt gebieten. Phaedron sagt, er will den Aeri die Ebenen von Soor und die Helopia
abtreten, wenn sie ihm nur Frieden gewaehren. Und den Karanen die Mygdoniar, den Bagundern das Land um Mermidon. Rams Viergehoern! Er hoert einfach nicht auf, Gebiet des Reiches wegzugeben, ohne mit mir darueber zu
sprechen."
"Er ist der Koenig." warf Hecatas ein.
Doch Anian blickte nur kurz und unwillig zu ihm herueber. "Er ist der Kaiser und noch ist er Koenig. Doch ich werde nach ihm Koenig sein. Doch Koenig worueber, wenn er alles
verschenkt?"
"Beginnst du schon wieder damit?" Hecatas schlug veraergert die Haende zusammen. "Zuerst ist es Chaireddin, der dein Licht schmaelert, jetzt nimmt dir Bofri die Sonne, die
du offenbar zum Leben brauchst."
"Schon gut." schraenkte er dann ein, als er bemerkte das Anian ihn durchdringend anblickte. "Natuerlich solltest du mit ihm darueber sprechen, am besten gleich Morgen, nach
der Parade. Aber Einhalt gebieten, das erscheint mir ein starkes Wort, seinem Kaiser gegenueber."
"Hmm." brummte Anian unwillig. "Zuerst reizt du mich, weil du meinst, mich aus einer angeblichen Melancholie ziehen zu muessen und wenn ich dann deinen Wuenschen entspreche, willst du mich wieder zurueckhalten."
"Ach," Hecatas laechelte "so ist meine List nicht unbemerkt geblieben? Ich haette es mir denken koennen. Aber im ernst, du musst mit ihm sprechen. Er darf den Aeri keine
Helionen ausliefern, die sie ihren Daimonen und Monstern opfern koennen. Den Karanen und Bagundern," er zoegerte, "nun ja, vielleicht laesst sich auch da etwas machen. Sprich mit ihm." draengte er
dann.
"Natuerlich werde ich das tun. Dieses militaerische Gepraenge am morgigen Tag, ich habe ja lange ueberlegt, ob es in unserer Lage, in dieser Stadt, angemessen ist, aber vielleicht
hebt es ja nicht nur unsere, sondern auch die Stimmung meiner Antalier. Wenig Unterhaltung haben sie in den letzten Monaten gehabt."
"Ja," meinte Hecatas veraergert, "einen Teil der Arenentiere haben die Aeri getoetet, einen Teil auf die Buerger gehetzt. Und sie wollten sich ausschuetten vor Lachen, so
erzaehlt man sich, wenn eine hilflose Greisin oder ein unmuendiges Kind schreiendes Opfer einer Springkatze wurde. Den alten Meister Demosom, den Gewuerzhaendler aus der Kalbsfellgasse, haben sie lebendig gehaeutet
und die ausgestopfte Haut vor sein Kontor gehaengt."
Er schuettelte den Kopf und nicht alles Wasser, das ueber sein Gesicht lief, war Regen. Anian achtete den Schmerz des Freundes und schwieg. Waehrend sie am Haus des Salzhaendlers Golos
Tirkal vorueberkamen, das relativ unbeschaedigt geblieben war, wie es hiess, hatte ein maechtiger Aerifuerst dort gehaust, hatte sich der Hofvorsteher, auch Hofmarschall genannt, wieder gefangen. Anian gruebelte
noch ueber das grausige Schicksal der Familie des Salzhaendlers nach. Die juengsten Kinder waren in die Sklaverei verkauft worden, die aelteren Toechter hatten die fortgesetzen Vergewaltigungen durch die
unmenschlichen Aeri nicht ueberlebt, Golos und seine Frau selbst waren an den Folterungen, mit denen die Aeri den Verrat angeblicher Schatzverstecke erpressen wollten, gestorben.
"Welche Zukunft hat dir die Orakelskeidh denn vorhergesagt?" meinte Hecatas ploetzlich. "Und welch Schicksal hat der Kaiser Bofri?"
"Ich moechte nicht darueber sprechen. Jetzt nicht." wehrte Anian ab. "Ausserdem liegt unser Schicksal in der Hand der Goetter, niemand kann dem entgehen, was ihm bestimmt ist."
"Nun, dann kannst du mir doch sagen, was die Alte prophezeiht hat." liess Hecatas nicht locker. "Bofri?"
Anian zoegerte einen Moment. "Der Fuerst lebt, der dereinst Schuld an seinem Tod wird tragen."
"Boashilber?"
"Durch Seefahrt geht an fremder Kueste er zugrunde."
"Der," Hecatas stockte kurz, "der Vizekoenig Anian?"
"Er fliehe der Burgen Schutz. Viel sicherer sind die siegverheissenden Ebenen fuer ihn." Anians Stimme klang unbeteiligt. "Du siehst, besser hoerst, nur allgemeines, das stimmen kann und wiederum auch nicht. Lass uns schneller gehen. Es sind noch Vorbereitungen fuer Morgen zu treffen und dieser Regen ist langsam nicht mehr auszuhalten. Ich hoffe nur, er verdirbt uns den kommenden Tag nicht."
So schritten sie weiter, in Eile ploetzlich, und ein jeder hing unerfreulichen Gedanken nach.
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