MYRA

 Winter_in_der_Stadt

Winter in der Stadt

Weil es so kalt ist, gehen wir nicht mehr zum Grimhtempel. Die Zeremonie wird jetzt nur noch von wenigen besucht und findet im Tempel statt. Mutter und Vater stehen aber immer noch im Morgengrauen auf und Vater geht dann für eine Weile barfuß und fast nackt raus in den Schnee. Er sagt, das sei gut für die Gesundheit. Ich habe das auch einmal probiert, mir dabei aber nur eine laufende Nase geholt. In der Stadt ist es jetzt etwas ruhiger, weil nicht mehr so viele Schiffe kommen. Seit wir die Straße vollständig haben, kommen jedoch regelmäßig Händler aus Tektoloi.

Mit den weißen Spitzen sehen die Dächer so friedlich aus, auch wenn man überall hört, daß Drakon lauert. Jetzt muß ich Mutter aber in der Küche helfen. Ich werfe ein paar Scheite Holz ins Feuer und rühre in der Suppe. Auf dem Feuer steht ein Kessel mit Tee. Gut, daß wir vor dem Winter noch billig an ein Fäßchen mit Butter gekommen sind. Es wird wohl über die gesamte Zeit reichen. Vater sitzt schon am Tisch und repariert einen Gürtel, bis die Suppe fertig ist. Es gibt inzwischen zwar Handwerker, die so etwas tun, aber Vater sagt, das Geld sei ihm zu schade. Es könne doch auch nicht sein, daß die ganzen alten Traditionen verkommen würden. Jedesmal, wenn er so redet, lächelt Mutter und blickt ihn liebevoll an. Daraufhin entspannt er sich wieder und arbeitet weiter. „Ist doch wahr.“, murmelt er noch. Die Suppe ist fertig und ich wecke Niall. Er will erst nicht aus den Fellen, aber ich kitzle ihn solange, bis er aufgibt.

Als wir runterkommen ist Vater schon weg. „Er sieht nach, ob schon etwas in den Fallen ist.“, sagt Mutter. Im Winter gibt es weniger zu tun für einen Schmied, also hat sich Vater darauf verlegt, zusätzlich Fallen für kleine Tiere aufzustellen. Das Fleisch von einigen ist genießbar und die Felle verkaufen wir auf dem Markt. Mutter flechtet Körbe. Dabei helfe ich ihr jetzt schon seit einigen Jahren. Inzwischen habe ich den Dreh raus und fertige eigene an. Seit ich den seltsamen Korb gesehen habe, den eine Dame aus einem anderen Land dabei hatte, habe ich versucht, diese Form hinzubekommen. Jetzt habe ich es geschafft. Wir sind bisher die einzigen, die diese Körbe anbieten, auch wenn sie noch nicht so nachgefragt sind.

Ich muß nur versuchen, einen Korb der Frau eines Händlers zu einem „Sonderpreis“ zu verkaufen. Wenn sie damit gesehen wird, kann es gut sein, daß dann auch alle ihre Freundinnen einen haben wollen. Dafür flechte ich jetzt schon auf Vorrat. Vierzehn Körbe habe ich bereits geschafft. Wenn ich den hier fertig habe, treffe ich mich mit Aindreas. Er wollte mir etwas zeigen und hat sich dafür extra frei genommen.

Ich denke, Ffowc nimmt ihn nicht mehr so hart ran wie früher. Er ist inzwischen sehr geschickt mit seinen Händen. Neulich hat er mir eine kleine Figur mitgebracht, die einen Wolf darstellt, der nach einem Vogel schnappt. Sie ist gar nicht übel. Er muß damit eine ganze Weile zugebracht haben. Das Hochzeitsbesteck hat er inzwischen fertig. Irgendwie will mir nicht in den Kopf, daß er schon bald heiratsfähig ist. Es kommt mir so vor, als seien wir erst gestern noch wie die Kinder umhergesprungen.

Neulich hat mich Vater darauf angesprochen, daß er meinen zukünftigen Mann noch nach den alten Bräuchen prüfen würde. „Aber, ich denke, er wird schon mit einem Schwert umgehen können.“, sagte er dann noch und warf einen bedeutungsvollen Blick zu Mutter. Die lächelte verschmitzt und sah weg. Eltern sind manchmal seltsam.

Während sie eine Lage nach der anderen fertig macht, singt Mutter alte Balladen. Niall sitzt vor dem Kaminfeuer und spielt mit einer Holzrolle, auf die Mutter normal einen Faden aufrollt. Ich spiele ein wenig mit meinen schmerzenden Fingern. Nicht mehr lange und ich kann zu Aindreas gehen. Er wird schon warten. Ich glaube er arbeitet im Moment an einem Tisch für ein Botschaftsgebäude. Die fremden Herren und Damen haben einen anderen Geschmack als wir einfaches Volk. Ihnen reicht keine Platte auf Baumstümpfen. Er soll sogar eine Schublade in den Tisch einbauen. In letzter Zeit sehe ich immer mehr Menschen aus allen möglichen Regionen des Kontinents. Ich wußte gar nicht, daß es so viele Völker gibt, aber es scheint fast, als würde jedes Jahr ein neues auftauchen. Auch gibt es Gerüchte, daß sich Fremde an der Grenze herumtreiben. Es sollen Elfen oder Bienen sein, vielleicht sogar beides. Vater hat mir eine oder zwei Geschichten von Elfen erzählt.

Noch zwei Lagen und ich bin fertig. Vater hat ein Holzstück zurechtgeschnitten, Niall auf den Schoß genommen und zeigt ihm gerade, wie man schnitzt. Das kann seine Aufmerksamkeit wahrscheinlich auch nur einige Minuten fesseln. Er ist noch recht jung und springt immer durch das Haus.

Ich wasche den Korb noch einmal in dem Zuber und lege ihn dann im richtigen Abstand zum Feuer ab, damit er bis morgen trocknet und sich festigt. Dann schlüpfe ich in meine Winterkleidung. Die Beinkleider und die Weste sind aus Fell. Dazu kommt noch ein Umhang, Handschuhe und eine Mütze. Die meisten Menschen erkennt man nur noch an ihrer Mütze, wenn sie im Winter draußen sind.

Es dauert nicht lange und ich stehe vor der Tür von den Eltern von Aindreas. Kaum habe ich geklopft, öffnet er die Türe. Es kommt noch ein kurzes „Hallo Heilin, komm doch herein.“ von seiner Mutter, dann hat er mich auch schon am Arm gepackt und zieht mich gen Machairas. Ich kann gerade noch einen kurzen Laut des Protestes ausstoßen, dann passe ich mich aber seinem Schritt an. „Komm schon,“, drängt er, „ich muß Dir etwas zeigen.“. Es geht ein Stück durch den Wald, dann halten wir auf einer Lichtung. „Sieh Dich um.“, sagt er, „Fällt Dir etwas auf?“. Ich kann nichts besonderes entdecken und sage ihm das auch. Seine Augen leuchten und er zeigt auf einen besonders gerade gewachsenen Baum. „Das wird der Giebel meines Hauses werden. Nächstes Jahr werde ich mein eigenes Geld verdienen, sagt Ffowc. Dann bin ich heiratsfähig.“. Als er heiratsfähig sagt, gibt es einen Stich in meiner Brust. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Aindreas sieht mich an. Scheinbar ist ihm mein Gesichtsausdruck aufgefallen, denn er fragt: „Freust Du Dich denn gar nicht?“. „Natürlich“, antworte ich und lächle, aber irgendwie kann ich mich nicht so recht freuen. Er wird jemanden heiraten und mit ihr glücklich werden und viele Kinder bekommen. Eigentlich müßte ich mich für ihn freuen.

„Du wirst schon noch sehen.“, deutet er mit einem verschmitzten Grinsen an, „Ich habe da noch etwas, das ich Dir zeigen wollte.“. Er bückt sich und greift hinter einen Baumstamm. Ich kann gerade noch rechtzeitig sehen, daß er einen Schneeball dahinter hervorzieht und gebe ihm einen Schubs. Aus dem Gleichgewicht gebracht fällt er vornüber geradewegs in den Schnee. Ich gebe ihm noch einen Tritt in den Hintern und lache. Er springt auf und will mich packen, ich bin jedoch schneller und renne weg. Er läuft mir hinterher und holt auf. Er kann mich packen und wirft mich zu Boden. Kalter Schnee ist in meinem Gesicht und läuft meine Weste hinunter. Ich pruste und zapple, komme aber nicht frei, dann läßt er mich los. „Ha, habe ich Dich doch noch!“, ruft er aus und lacht. Bevor er sich versieht, habe ich Schnee in meine Hände geschaufelt und ihm ins Gesicht geworfen. Dann werfe ich mich mit meinem ganzen Gewicht auf ihn. Er landet auf dem Rücken im Schnee und grinst mich an. Dann werden seine Augen ernst und er fragt mich: „Möchtest Du in meinem Haus wohnen?“. Mir stockt der Atem, mein Herz scheint einen Schlag auszusetzen. Das hätte ich nicht erwartet. Tausende von Gedanken gehen mir durch den Kopf, doch das Einzige, das ich herausbringe ist ein „Ja.“. Er nimmt mich in den Arm und küßt mich und ich weiß endlich, was mit mir los ist.