MYRA

 Mitranischer_Monatsbote_31

Mitranischer Monatsbote

Ausgewählte Nachrichten des Monats für die gebildeten Stände

Herausgegeben vom "Bund freier Bürger für ein einiges Tektoloi"
 Schrift- und Anzeigenleitung am Platz der freien Künste, Mitrania.

Befreiung aus dem Kerker

Mitrania, Tammus 419. In diesem Monat wurde uns ein Dokument zugespielt, das angeblich bei einer Razzia im alten Viertel gefunden wurde. Es handelt sich um eine graue Ledermappe mit der Aufschrift: "Einheit Miktonos 418 bis .." Im Inneren befinden sich Manuskripte mit zwei unterschiedlichen Handschriften. Obwohl die Art, wie die Schriftstücke an uns gelangten, auf einen politisch brisanten Zusammenhang schließen lässt, möchten wir unseren Lesern diese spannende Geschichte nicht vorenthalten. Für Ortsunkundige fügen wir einen Stadtplan von Miktonos bei. (ja)*Helles Licht blendete mich. Ich trat ins Leere, hatte wohl die Stufe übersehen und wäre gestürzt, wenn nicht ein fester Griff um meinen Arm mich gestützt hätte. An das dunkle Licht des Kerkers gewöhnt, paßten sich meine Augen nur langsam an die grelle Helligkeit des Sonnenlichtes draußen an. Der Griff um meinen Arm lockerte sich nicht, während ich nach vorne gedrängt wurde. Mir war schwindlig. Immer wieder stolperte ich auf dem rauhen Straßenpflaster. Aber meine Begleiter zogen mich unbarmherzig weiter.

Als sich meine Augen an das grelle Licht der Sonne gewöhnt hatten, sah ich, dass wir durch einen wunderschönen, ausgedehnten Garten marschierten. Da wir uns noch auf dem Tharapas befanden, vermutete ich, dass es die Gärten des Lyovion waren. Schließlich standen wir vor einer mannshohen Bruchsteinmauer, die durch ein gußeisernes Gitter gekrönt wurde. Einer meiner beiden Befreier übernahm das Kommando. "Wir müssen da drüber. Mikleôs zuerst. Ich helfe Fenarion." Der Mikleôs gerufene erkletterte die Mauer, schwang sich über das Gitter und verschwand auf der anderen Seite. Wenig später ertönte drüben ein Pfiff. Jetzt war ich dran. Meine Kondition hatte während der langen Gefangenschaft sehr gelitten. Mit etwas Hilfe schaffte ich es auf die Mauer. Doch oben wurde mir schwarz vor Augen und ich stürzte über das Gitter auf die andere Seite. Ich lag dort auf der Straße und vor meinem inneren Auge erwachten Erinnerungen zum Leben und zogen träge vorbei.

Bericht, Aw 418. Bisher konnten wir nicht herausfinden, ob Palân Anglembar noch lebt, geschweige denn wo er sich derzeit aufhält. Wir konnten jedoch ausfindig machen, dass er, sowie die Leute seiner Gruppe (Thandial Lerias, Denagos, Elphon und Fenarion) auf Befehl von oberster Stelle gesucht wurden. Unser Informant sagt, dass sie einen von ihnen erwischt haben. Wir wissen jedoch bisher nicht, wo er gefangen gehalten wird.

Wir hatten damals den Auftrag mit der Höhle angenommen. Er überstieg unsere Kräfte. Als Elphon und Palân verschwunden waren, wurden die Auftraggeber mißtrauisch. Das war im Jahr 414. In Miktonos glaubte man wohl, es gäbe da noch etwas, was wir geheim halten wollten. Ich trennte mich von den Anderen, weil ich hoffte, mich dann besser vor den Häschern verbergen zu können. Trotzdem erwischten sie mich schließlich und sperrten mich ein. Ich konnte sie nicht davon überzeugen, dass ich auch nicht mehr wußte als sie. Dann schien es so, als ob Miktonos mich vergessen hätte.

Die Zeit meiner Gefangenschaft war lang und düster. Jeden Tag die gleiche dunkle Kammer. Ich wanderte von der Tür zum Fensterloch, vom Fensterloch zu meinem Bettlager und zurück zur Tür. Zweimal am Tag gab es Wasser, Suppe, Brot. Bald verlor ich jedes Zeitgefühl. Das Fensterloch war ein schräg nach oben führender Schacht, etwa drei Spannen lang und zwei Hände breit - zu schmal um hindurchzukriechen. Am anderen Ende war ein Stück Himmel zu sehen. Der Anblick des Himmels war das Einzige, was sich über die Tage änderte: Mal war er blau, mit oder ohne Wolkenfetzen, dann grau, nachts schwarz, morgens wieder blau. Ich wusste nicht, was sonst draußen vorging, nur über das wechselhafte miktonosische Küstenwetter war ich immer im Bilde.

Bericht, Tischri 418. Es gibt tatsächlich einen Gefangenen aus Palâns Gruppe. Es ist Fenarion. Er sitzt in einem Kerker im Keller der Kommandantur des Lordfeldmarschalls auf dem Tharapas ein. Einige der Kerker in der Kommandantur sind über Fensterschächte, die sich zum Garten des Lyovion hin öffnen, zugänglich. Wir werden versuchen, Kontakt zu dem Gefangenen aufzunehmen. Von den Anderen weiterhin keine Spur.

Einige kräftige Ohrfeigen brachten mich wieder zur Besinnung. Mikleôs sagte: "Bei Erainn, mach jetzt nicht schlapp." Er zog mich hoch, und ich kam mühsam wieder auf die Beine. "Es wird gehen", murmelte ich schwach. Über einige verwinkelte Gassen gelangten wir auf den Kaiserplatz. "Gehen wir auf einen Krug Met nach Tektols Rast?", fragte Mikleôs seinen Kameraden. "Mach keine Scherze", antwortete der. Mir viel jetzt erst auf, dass er nur eine Hand hatte. Anstelle der anderen trug er einen eisernen Haken. Sie nahmen mich in die Mitte und wir schritten die Prachtstraße hinunter. An deren Ende nahmen wir den Esarzanweg Richtung Altstadt.

"Halt, stehen bleiben." Im Gedränge des Landmarktes waren wir auf eine Patrouille der Garde gestoßen. Hakenhand entfuhr ein kaum unterdrücktes "verdammte Scheiße". Mikleôs erbleichte und murmelte: "Verdammt, den kennen wir doch aus Tektols Rast." Er stieß mir eine Faust in die Seite und zischte in mein Ohr: "Renn was du kannst, wir treffen dich am Tempel des Erainn, falls wir uns aus den Augen verlieren." Bevor ich im Gedränge verschwand, sah ich noch, wie der Kommandant der Patrouille Hakenhand am Ärmel faßte. Er brüllte: "Nochmal legt ihr mich nicht rein. Nehmt ihn fest." Ich stieß mich durch die Menge in Richtung Tempel der Götter. Am Rande des Marktes, wo das Gedränge weniger dicht war, bemerkte ich, dass Mikleôs immer noch dicht hinter mir war. Hastig bogen wir in eine Seitengasse des Esarzanweges ein und blieben stehen.

Vorsichtig äugte Mikleôs um die Ecke. Ich hörte Geschrei und Rufe. "Haltet ihn." Mittlerweile hatte auch das Volk auf dem Markt mitbekommen, das hier etwas abging. Keuchend berichtete Mikleôs, was auf dem Marktplatz vorging. "Ich sehe ihn jetzt. Er kommt auf uns zu gerannt. Die Gardisten sind dicht hinter ihm. Komm, weiter." Wir rannten die Gasse hinauf. Hakenhand schloß zu uns auf. Wir bogen um eine Ecke, nahmen einen Torweg, gelangten so auf einen Hinterhof und verließen ihn durch eine Nebentür. Schwer atmend alle drei blieben wir stehen und lauschten. Mir schwindelte wieder. "Verflucht, sie sind immer noch auf unserer Spur", stieß Hakenhand hervor, als wir Schritte und Rufe hörten. Wegen des Schwindels mit einem Schleier vor den Augen, sah ich, wie von dem Haken rotes Blut auf seinen Ärmel rann. Dann wurde mir wieder schwarz vor Augen.

Bericht, Kislew 418. Wir konnten durch einen der Lichtschächte Kontakt zu Fenarion herstellen. Miktonos verlangte von ihm eine Aussage über den Aufenthaltsort seiner Kumpane und über Detailinformationen zur Höhlenexpedition. Fenarion verweigerte die Aussage. Es ist noch nicht klar, ob er sich nur weigert auszusagen, oder ob er nichts weiß. Zumindest wird deutlich, dass man in Miktonos auch nicht besser über Palâns Leute informiert ist als wir. Wir werden versuchen ihn zu befreien. Unsere Bedingung: Er arbeitet für uns.

Ich machte meine immer wiederkehrende Runde durch die Zelle, drehte dem Fensterloch den Rücken zu und marschierte Richtung Pritsche, als etwas durch den Schacht viel und mich an meiner Ferse traf. Oben verdeckte Jemand die Öffnung, so dass es in der Kammer völlig dunkel wurde. Er fragte: "Ist da unten einer?" - "Ja", sagte ich mit heiserer Stimme. - "Wer?" - "Fenarion." - "Gut. Wir haben dich gesucht." Jemand von meinen alten Gefährten? Nein, ich hätte seine Stimme erkannt. Vielleicht steckten sie aber doch dahinter? Wer sollte sonst noch an mir Interesse haben?

 Bericht, Schewat 418. Die Planung für die Befreiung Fenarions steht. Die nötige Verkleidung haben wir auch schon. Vianje und Mucia konnten zwei Offiziere der schwarzen Hafenwache dazu bewegen, ihre Uniformen abzulegen. Die beiden Herren waren ausgesprochen ungehalten, als sie sich sowohl ohne Kleidung als auch ohne Damen vorfanden. Dies versicherte uns zumindest der Wirt. Wir gehen davon aus, dass die Bestohlenen davon absehen, den Verlust ihrer Uniformen an die Vorgesetzten zu melden. Mikleôs kam auf die Idee, unsere Tarnung bei einem Besuch in Tektols Rast auf die Probe zu stellen. Das wäre beinahe schief gelaufen. Dort saß nämlich schon jemand von der Garde, der glaubte, wir seien im Dienst. Wir stellten uns dumm, und er gab sich schließlich damit zufrieden, uns zurück auf unseren Posten zu kommandieren.

Ich erwachte, als Mikleôs mich hochriß und sie schleiften mich um die nächste Ecke. "Der Tempel ist unsere letzte Chance", keuchte Hakenhand neben mir. Nach einigen Abzweigungen im Gassengewirr erreichten wir ein niedriges Portal in einer hoch aufragenden Steinwand mit schlanken, spitzen Fenstern. Drinnen empfing uns angenehme Kühle und Dunkelheit. Von draußen hörte wir die Schritte der herbeieilenden Patrouille. Jemand rief: "Ich sehe sie nicht mehr. Verdammt, wo sind die jetzt?" Meine Augen gewöhnten sich an das dämmrige Licht und ich wurde gewahr, das wir durch einen Nebeneingang einen der fünf Tempel betreten hatten. Die Halle war gewaltig an Höhe und Tiefe. Durch die schmalen Fenster hoch über unseren Köpfen fiel das Licht und bildete gleißende, sich kreuzende Balken, die dort, wo sie auf die Wand trafen, bunte Ornamente aufleuchten ließen. Bis zu uns unten in der Tiefe sickerte nur ein kleiner Teil des Lichts - zusätzlich abgeschwächt durch dichte Weihrauchwolken, deren Duft ich erst jetzt wahrzunehmen begann.

Draußen hörten wir unsere Verfolger. "Meinst du, die sind da rein?" Ihre Silhouetten zeichneten sich dunkel am Eingang ab. Offensichtlich wurden sie wie ich von der beeindruckenden Atmosphäre des Raumes mit heiliger Scheu erfüllt, denn sie wagten nicht, einfach kurzer Hand in den Tempel zu stürmen. Mikleôs zog mich tiefer ins Dunkel. "Keinen Mucks jetzt. Sie haben uns noch nicht gesehen. Knie dich da hin." Bereitwillig rutschte ein Mönch zur Seite und machte uns Platz. Er ließ sich durch uns nicht in seinen Gebeten stören. Hakenhand und Mikleôs zogen sich ihre schwarzen Uniformmäntel über den Kopf. Man mochte sie für Mönche halten, wenn man nicht zu genau hinschaute. Wenn. Mein Herz zuckte so wild, dass ich es bis zur Kehle spürte. Mir war schwindlig und übel. Ich weiß nicht, wie lange wir dort knieten. Vielleicht waren es nur Sekunden.

Bericht, Adar 418. Vianje hat ein Zimmer im Hafenviertel gemietet. Dort werden wir Fenarion unterbringen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Der Wirt scheint zuverlässig zu sein. Mikleôs wird einen Sandsack mit in die Kommandantur nehmen, damit wir den Gefängniswärter ausschalten können. Nach unseren Informationen hat die Hafenwache Zutritt zu den Kerkern. Unsere Verkleidungen sollten es uns also ermöglichen, bis zum Gefangenen zu gelangen und das Gebäude mit ihm zu verlassen, ohne Verdacht zu erregen.

Weitere lange gleichförmige Wochen vergingen. Ich saß über meinen Eßnapf gebeugt, als ich Schritte im Gang vor meiner Zelle hörte. "Wer da?" Das war die Stimme des Wächters. "Schwarze Hafenwache. Wir holen den Gefangenen. Schließ auf." Das war die Stimme, die ich vom Fensterschacht kannte. Seit wann hatte es die schwarze Hafenwache nötig mit Gefangenen durch Fensterschächte zu reden? Verhöre liefen normalerweise anders ab. Ich war verwirrt. Ein Schlüsselbund klirrte und ich hörte, wie sich der Schlüssel knirschend im Schloß der Zellentür drehte. Als nächstes vernahm ich einen dumpfen Schlag und ein Stöhnen. Dann öffnete sich die Tür. "Komm raus da. Beeil dich.", kommandierte einer meiner Befreier. Sie waren zu zweit und trugen tatsächlich die Uniformen der schwarzen Hafenwache. Sie nahmen mich in die Mitte und wir schritten den Gang hinunter. Den Wächter ließen wir liegen.

 Bericht, Siwan 418. Fenarions Befreiung gelang ohne großen Zwischenfall. Er befindet sich wohlauf unter Vianjes Obhut. Eine Entdeckung ist nicht zu befürchten. Erbitte weitere Befehle."

 "Nein, sie sind nicht hier. Los weiter, wir dürfen keine Zeit verlieren." Die Schritte am Eingang entfernten sich schnell. Aromatisch duftende Weihrauchwolken hüllten mich ein. Irgendwo im Raum stimmte ein Mönch einen Gesang an, der vielfach gebrochen zwischen den Säulen nachhallte. Meine Spannung löste sich, und erleichtert übergab ich mich einer tiefen Bewußtlosigkeit.- Anzeige -

Wir befreien auch Ihren Gefangenen.

Wenden Sie sich vertrauensvoll an die Kerynii i'Darchon (KiD), Iluris Rast, Mitrania.