MYRA

 Kanzleigespraech

Kanzleigespräch

Kakuli Huma schnitt eine Grimasse. "'Geprägt durch Mißverständnisse', daß ich nicht lache", schnaubte er unter seinem langen, dünnen Schnurrbart hervor. "'Mit offenem Herzen empfangen', schreibst Du. An diese Verräter in Khandia? Und das, nachdem ich ARO angerufen habe, dieses Gezücht mit Stumpf und Stiel auszurotten? Was fällt Dir jungem Schnösel eigentlich ein?" Der breitschultrige Mann mit der rotgoldenen Federkrone, die ihn als höchsten Priester AROs auszeichnete, schritt ruhelos durch das enge Arbeitszimmer.

"Wen hat Hekkat XXXII. zum Regenten bestimmt? Mich oder Dich? Die Verdammung der Khandier war eine Dummheit. Wir wollen mit unseren Nachbarn in Frieden leben, oder willst Du einen Krieg? Mit was sollen wir den denn führen? Die Tempelgarde muß aufpassen, daß die Sklaven nicht aufmüpfig werden. Außerdem wollen die Küsten gesichert sein. In Lanuri ist Gold ja nicht viel wert, aber die Ausländer sind wie verrückt hinter dem schweren Metall hinterher. Naja, es sieht ja auch ganz hübsch aus." Der jüngere Mann saß in seinem Stuhl, mit den Augen, die tief unter den buschigen schwarzen Brauen in funkelndem Feuer grün und braun leuchteten, den nur wenig älteren Priester verfolgend. Auch Paluno trug die Federkrone eines Priesters, doch überwog bei ihm die Farbe rot, was gut zu seinen schwarzen Haaren paßte. Eine einzige goldene Feder des Quandazu unterstrich seine Autorität mehr als das Bündel Gold seines Gegenübers.

"Aber Du hättest nicht so unterwürfig sein dürfen", warf ihm der Oberpriester erneut vor. "Die denken sich am Ende noch, sie könnten mit uns machen, was sie wollen." Paluno straffte sich, sein meist gedrungen wirkender Oberkörper wirkte plötzlich viel größer, so daß er Kakuli Huma bis zur Schulter reichte, obwohl dieser immer noch stand. "Unterwürfig ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Höflich, ja. Schließlich wollen wir etwas von den Ungläubigen. Die Königin können sie ruhig behalten, Hek kommt gut ohne eine weitere Stiefmutter aus, aber die Gebeine seines Vaters müssen zurück zu ARO!"

Von seinem eigenen Eifer mitgerissen erhob sich jetzt auch Paluno. Im Stehen war er etwas kleiner als der Oberpriester, obwohl dieser auch kein sehr großer Mann war. Allerdings hatte der Regent kräftige Muskeln, die seine Jahre im Dienst der Tempelgarde verrieten. "Du hättest ihnen nicht so viel bieten sollen", beharrte der Oberpriester. "Wenn ich an Deiner Stelle wäre ..." - "Bist Du aber nicht. Kümmere Dich um Selmaron, der Tempel muß dringend erweitert werden. Hekkat XXXII. hat mich zum Regenten bestellt an seiner statt. Und Hek, äh, Hekkat XXXIII. hat das bestätigt durch den Rat der Priester. Willst Du Dich dem Ratschluß von ARO widersetzen?"

"Nein, natürlich nicht. Ich weiß, was der Rat beschlossen hat, ich war schließlich selbst dabei. Aber vergiß Du nicht, wer von uns in der Rangfolge der Priester höher steht." - "Das werde ich nicht", erwiderte der jüngere Mann. Kakuli Huma verließ den Raum. "Das werde ich nicht", murmelte Paluno noch einmal und strich sich dabei über sein rasiertes, von kleinen Narben bedecktes Gesicht "Aber die Zeit wird kommen ..."