MYRA

 Ich_will_nicht

Ich will nicht!

Fülle

Die Mittagshitze liegt feucht und schwer über dem großen Dschungel. Nur wenig regt sich, hier ein Flugstachel, der nach den zahllosen Insekten schnappt, dort ein grünliches Reptil, daß sich träge auf einem Baumstumpf räkelt. Still und leblos stehen auch die Rundhütten der kleinen Ansiedlung.

Plötzlich wird der Vorhang vor dem Eingangsloch einer der größten Hütten zurückgeworfen und, Maul voran, fliegt ein junger Kröterich heraus.

„Scher’ Dich fort, Du Tagedieb! Bau Dir eine eigene Hütte!“

Die Krötin, die diese zornigen Sätze ausstößt, steht groß und breit im Eingang.

„Verzieh’ Dich, Du Säuger!“

Mit einem letzten wütenden Quaken dreht sie sich um und läßt den Vorhang hinter sich zufallen. Zurück bleibt ein junger Kröterich, zusammengerollt wie ein Ball.

...

„Ist sie weg?“

Langsam entfernt der pummelige Krötenjüngling seine Arme von der seinen Kopf schützenden Position und blickt auf zu der jungen Krötin, welche die Szene von der Schwelle ihres eigenen Rundhauses beobachtet.

„Keine Angst, Rzzddrddln, Deine Mutter ist wieder zurück in ihrer Hütte gegangen.“

Halb spöttisch, halb mißbilligend blickt die Krötin auf den Sprecher herab.

„Und recht hat sie, Dich aus der Hütte zu werfen, ein Kröterich in Deinem Alter, der immer noch am Mamas Rockzipfel hängt.“

Langsam richtet Rzzddrddln sich auf, klopft den Staub von seinem Lendenschurz. Er weiß, daß es sinnlos ist, zu erklären, daß er nur im Dunkel der Hütte dem drängenden Ruf widerstehen kann, der ihn fortreißen will von allem, das er kennt, hinein in ein Element, das ihm so fremd ist, wie es tödlich für ihn ist. Niemand versteht, warum er von endlosem Wüstensand träumt und von flirrender Hitze, vom salzigen Wasser, das die Haut zerreißt.

Traurig blickt er nieder, wobei sein Bauchnabel vorwurfsvoll zurückblickt.

„Du solltest endlich einmal was Vernünftiges mit Dir anfangen, Rzzddrddln, andere Kröten in Deinem Alter haben nicht nur schon eine eigene Hütte, sondern sogar eine Ausbildung in irgend einer nützlichen Fertigkeit. Alles, was Du tust, ist essen und schlafen.“

Was soll er dazu sagen? Alle seine Energie ging dabei verloren, sein Selbst vor dem überirdischen Drängen zu schützen, daß ihn seit seiner frühesten Kindheit in den Fängen hält. Die Hütte der Mutter bot, wenn auch nur unzureichend, Schutz davor. Nun ist dieser Schild dahin, und er spürt bereits, wie der unwiderstehliche Zwang ihn zur Küste treibt, zum Meer, und zu dem, was dahinter liegt.

(Rdngr, 417 n. P.)

Zusammenbruch

„Guckt euch den Fettsack an!“

„Crbs! Das ist ja widerlich! Tzlp, Prrzk, schmeißt ihn in den Kanal und bringt ihn dann zur Wache!“

...

Ich falle in ein endloses schwarzes Loch, das sich mit rasender Geschwindigkeit um mich dreht. Seltsamer weise scheint mein Schädel dabei zwischen zwei Mühlsteinen zu stecken, die sich unbarmherzig gegen einander reiben, und mir langsam aber unausweichlich den Saft aus der Rübe drücken. Ein Finsterdämon hat meine Zunge in einen gegrillten Baumechsenmistballen verwandelt und meine Augen mit krallenlangen Nägeln verschlossen. Die scharfen Stimmen, die wie glühende Klingen durch die Watte in meinen Ohren stoßen, sind neu. Vielleicht gehen sie weg, wenn ich sie ignoriere?

Grobe Hände packen mich und schleifen mich über ein Geröllfeld aus Buckelquadern. Jede Erschütterung läßt die Mühlsteine hüpfen und aneinander prallen, so daß mein Kopf platt wie ein Fischeierkuchen ist, als die Hände mich mit einer letzten schwungvollen Bewegung, die mir die Reste des gestrigen Frühstücks in die Kehle treibt, loslassen und ich wieder falle. Aber nur für eine Sekunde, dann pralle ich auf und eine eisige Masse verschlingt mich. Eine brackige Brühe dringt in meinen Mund und meine Nase, und mein verzweifeltes Luftschnappen füllt meine Lunge mit Wasser. Das ist das Ende, blitzt es durch meinen vom fermentierten Fischöl benebelten Schädel, als mich eine harte Hand im Nacken faßt und wieder an die Oberfläche zieht.

„Igitt! Er stinkt immer noch!“

Wieder schlagen die eisigen Fluten über mir zusammen.

„So, Saufaus, raus mit Dir, oder willst Du, daß wir Dich tragen?“

„Der Fettkröt wartet wohl auf eine Sänfte!“

Harte Fäuste packen mich und bringen mich in die Vertikale – vergeblich, die Schwerkraft ist stärker, KRACK! Ein Blitz in meinem Schädel und dann gnädige Finsternis.

 

(Rtp-Dhrg 417 n. P.)

Leider hier...

„Und hiermit verurteile ich den Angeklagten, Rzzddrddln aus Rdngr, wegen wiederholter Trunkenheit, Widerstands gegen die Staatsgewalt und der Erregung öffentlichen Ärgernisses zu zehn Jahren Strafdienst in der Marine!“

...

Wo bin ich? Was bin ich? Schmerz zersplittert meinen Schädel! In meinem Nacken steckt eine glühende Nadel, deren dumpfes Pochen kleine Dolche der Pein in alle meine Fasern lenkt. Alles dreht sich – doch es ist nicht das vertraute Kreiseln, es ist mehr wie ein Schaukeln, ein leichtes Schwanken, fast wie... nein! NEIN! NEEEEIIIN!!! ICH BIN AUF EINEM SCHIFF!! AAAARGH! IHR VERFLUCHTEN SCHWEINE!! DAS KÖNNT IHR MIT MIR NICHT MACHEN!!!

Angst, Wut, Verzweiflung, ich springe auf, kämpfe wie ein Brüllwolf, ein roter Schleier senkt sich über meine Augen, besser im Kampf sterben als HIER zu sein, wo SEIN Ruf ungebremst sich einem zackigen Dorn gleich in meine Seele bohrt, fordernd, drängend, mein schwaches Fleisch mit seinem übermenschlichen Willen zerfetzend – nicht einmal das fermentierte Fischöl, auf dem festen Land so lange Linderer meiner Pein kann sein Drängen hier von mir fernhalten.... noch Stunden später, längst in Eisen in der Bilge des zdkrrbgsrkgssklpnschen Erkundungsschiffes, schreie ich, bis meine Stimmbänder zerfasern wie mein Wille vor der göttlichen Not, bis die Erschöpfung mir die Sinne raubt.

 

(Rtp-Dhrg, 417 n. P.)

Spielball der Macht, Opfer des Wahns

Das Schiff schießt durch die schäumenden Wogen der Tiefsee. Zornig bäumt sie sich auf gegen den zerbrechlichen Reiter aus Holz und Leinen. Die Matrosen klammern sich zitternd an die Wanten und verfluchen den Tag, an dem sie das Schiff betraten. Doch größer als ihre Furcht vor dem Sturm ist ihre Furcht vor der wilden Gestalt, die das große Steuerrad in ihren Klauen hält. Zerbrochene Ketten klirren an ihren Gliedern, und das Blut, welches sie bedeckt, ist nicht das ihre. Aber es sind die Augen, welche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn aus ihnen schaut keine Seele, kein Verstand, sondern der nackte Wahn, entblößt jeglicher Diesseitigkeit.

Unerbittlich hält der große Kröterich den Kurs, Tag und Nacht, Woche um Woche. Nie hält er inne, um Nahrung und Trank zu sich zu nehmen, kein Augenblick der Ruhe ist ihm vergönnt. Wie ein Fels steht er am Steuer, und weder die Schiffskröten noch die Gischtspritzer, die seine Haut an vielen Stellen haben aufplatzen lassen, können ihn von dort vertreiben.

Und so folgt das unselige Schiff seinem Kurs durch die Wogen, ohne Ziel und ohne Hoffnung, getrieben von einem Schmerz, der jenseits dessen ist, was Sterbliche erfassen können, und der unweigerlich das zerstören wird, wovon er einmal Besitz ergriffen hat.

 

(Ophissee, 418 n. P.)