MYRA

 Handbuch_aus_Allennos

Das Handbuch für den Reisenden in Allennos

Herausgegeben 417 n.P. von Yandilon Marphenor, Geschichtsschreiber des Herzogtums Allennos; verfaßt im Auftrage Andreana D’Alephs, der Hohen Regentin zu Allennos
 Gewidmet Deirvis D’Aleph, Hezog zu Allennos, und seiner Gemahlin, Rohanya D’Laphur

 

 Vorwort

Im Ophis Erendyras, umgeben von den Umzingelnden Bergen liegt das Kaiserreich Tektoloi, und das Herzogtums Allennos - die Kornkammer Tektolois - ist, meine ich, die schönste Region des Kaiserreiches. Doch dieses einst blühende Land wurde in den letzten Jahrzehnten schwer geplagt. Der dreißigjährige Bürgerkrieg in Tektoloi um das Erbe der Reichskrone grub tiefe Spuren in das einst so reiche und friedliche Allennos, und so war das Volk in Allennos sehr froh, als 412 n.P. endlich ein Friedensvertrag zwischen dem Herzog von Garian, Chirnes Nizneros, und dem Herzog zu Allennos, Deirvis D’Aleph, abgeschlossen wurde, der den Bürgerkrieg für Allennos beendete.

Doch die Hoffnung auf Frieden wurde enttäuscht: 413 n.P. kam es fast zu einem Krieg mit den benachbarten Zirkelmagiern und zu allem Übel erkrankte der Herzog so schwer, daß seine blutjunge Tochter Andreana die Regierungsgeschäfte übernehmen mußte, die sie auch heute noch führt. Als gerade mühsam mit den Zirkelmagiern ein Friedensvertrag ausgehandelt worden war, kam es zur Eskalation an der anderen Grenze von Allennos: Das mörderische Volk der Ikatzinti brach den Friedensvertrag, vertrieb tektolonische Siedler aus dem Urwald und opferte alle Menschen, die es ergreifen konnte, an den widerlichen Schleimgott Tur-Kulmak. Die Ikatzinti zogen dann gegen Tektoloi - und damit vor allem Allennos, als das angrenzende Herzogtum - in den Krieg. Zur großen Bestürzung der Hohen Regentin, Andreana D’Aleph, wurden die allennosischen Truppen vernichtend geschlagen, und nur mit Hilfe der kaiserlichen Truppen konnte das Schlimmste verhindert werden. Zu allem Überfluß hatten die durchziehenden Truppen und der Flüchtlingsstrom d an den Urwald angrenzenden Bezirk Fargonar so sehr mitgenommen, daß die geplagte Landbevölkerung zu rebellieren begann. Dank der großmütigen Hilfe der kaiserlichen Truppen konnte die Bevölkerung vorerst wieder beruhigt werden, doch dann fiel im Winter 414 n.P. eine unglaubliche Kälte über Allennos und die kaiserlichen Truppen zogen sich zurück.

Zum ersten Mal seit Generationen fiel Schnee in dem warmen Land, und so verdarb die Ernte. Das Unglaubliche war geschehen: Das fruchtbare Allennos mußte hungern. Man sagt, Generian, der fruchtbare Gott der Landwirtschaft, der in Allennos neben Erainn, dem Gott des Lichtes, als der wichtigste Gott gesehen wird, zürnte Allennos, weil das Herzogtum, statt das fruchtbare Land zu pflegen, Krieg um Krieg führte, und so strafte der Gott das Land mit dieser Naturkatastrophe. Aus diesem Grund wurde das Volk von Monat zu Monat unmutiger. Besonders der Bezirk Fargonar war schwer getroffen: Sowieso schon die unfruchtbarste Gegend von Allennos, waren alle Nahrungsmittelvorräte und auch die Saat für das Jahr 415 n.P. durch die Heere aufgebraucht. Zudem hatten die Heere viele Felder und Wiesen zerstört, so daß in den Winterstürmen von 415 n.P. viel fruchtbares Land ins Tal geschwemmt wurde und im Frühjahr fast nichts mehr wuchs. Schließlich hatte sich die Bevölkerungszahl innerhalb weniger Monate durch den großen Flüchtlinstrom veranderthalbfacht. Nicht nur gab es Konflikte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen, die Flüchtlinge stellten auch zusätzliche Esser in dem sowieso schon hungernden Bezirk dar und waren meist in notdürftig gebauten Unterkünften untergebracht. Infolge dieser katastrophalen Verhältnisse brach im Winter 416 n.P. auch noch die Pest aus. In dieser Situation war es dem verräterischen Morvin D’Ervial ein leichtes, Fargonar zur Rebellion zu bewegen. Er brachte die in Burg Teligos stationierten Truppen hinter sich und erklärte Fargonar für unabhängig.

 Hätten in dieser Situation die Hohe Regentin und ihr Führender Ritter der Garde, Gwyndio D’Orboron, nicht so umsichtig reagiert, hätte die Rebellion leicht auf die übrigen Bezirke übergreifen und in Allennos ein Bürgerkrieg ausbrechen können: Die Hohe Regentin schickte ihre Garde und die Ritter nach Fargonar, um die Situation zu klären. Um Fargonar weitere militärische Auseinandersetzungen zu ersparen, forderte Gwyndio D’Orboron Morvin D’Erival zum Zweikampf heraus. Der Führende Ritter tötete D’Erival ehrenhaft im Kampf, erlag jedoch selbst seinen Wunden, da D’Erival seine Waffen vergiftet hatte. Die Truppen in Teligos waren froh, daß ein Krieg verhindert worden war und halfen nun unter der Führung von Eldas Aldaridion, das Notprogramm der Regentin zu verwirklichen: Ein großer Teil der Flüchtlinge wurde in weniger geplagte Bezirke umgesiedelt. Gleichzeitig wurden die Händler in Allennos gezwungen, ihre Kornkammern zu öffnen und das Getreide zu günstigen Preisen an Fargonar zu verkaufen - ein Schachzug, der d Regentin Beliebtheit bei der Bevölkerung und Mißmut bei den Händlern einbrachte. Seitdem kehrte Frieden in Fargonar ein, und gleichzeitig stieg die Achtung der jungen Regentin in den Augen der Allennosen.

Doch Generian zürnte immer noch, und so beschloß die Hohe Regentin 417 n.P., ihre geliebte Base, Kafrya D’Aleph, Generian zu weihen und dem Gott zu Ehren einen Tempel errichten zu lassen. Obwohl der Tempel noch nicht fertiggestellt ist, scheint es, als ob Generian gnädig gestimmt werden konnte: Nach der Weihe Kafrya D’Alephs schmolz der Schnee, und bis jetzt deutet nichts auf eine erneute Mißernte hin. Es bleibt zu hoffen, daß das gebeutelte Land nun Zeit hat, sich zu erholen.

Die folgende Schrift soll dem Reisenden, den es nach Allennos verschlägt, eine Hilfe sein. Demjenigen, der sich bereits in Allennos auskennt, mag es interessant erscheinen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Ich hoffe, mir ist es gelungen, einen hilfreichen Überblick über das schöne Herzogtum zu verschaffen.

Yandilon Marphenor, 417 n.P.

 

Kapitel 1: Geographie

In fast ganz Allennos ist das Klima - wie im übrigen Tektoloi - gemäßigt, wenn auch die durchschnittlichen Temperaturen etwas höher sind als im übrigen Tektoloi. In den zerfurchten Rigamoshügeln , die Allennos vom Ostmeerabtrennen, regnen sich Gewitter zumeist ab, bevor sie die Tieflande erreichen, und das Klima normalisiert sich zumeist schon in wenigen Meilen Entfernung vom Meer. Deshalb scheint in den fruchtbaren Ebenen und Hügeln von Allennos ewiger Frühling zu herrschen- die Sommer sind warm und trocken, im Winter ist es nie kalt und Regen bewässert das Land. In diesem Klima kann eine unglaubliche Vielzahl von Pflanzen gedeihen. Riesige Ackerflächen wechseln sich in den Hügeln und Ebenen mit saftigen Weideflächen von Rindern, Schafen und Pferden ab. Doch was den Ebenen von Allennos seinen besonderen Charme gibt, sind die hübschen, gepflegten Häuser und die offensichtliche Liebe der Allennosen zu Blumen, die überall angepflanzt werden, wo der Platz nicht für andere Zwecke benötigt wird. Nur an den Küsten im Ophis, in den Bezirken Karkenor und Lesakus, gibt es warme und feuchte Winde, schwülheiße Tage und Gewitterstürme. Hier findet man noch kleinere Streifen von unbezähmbaren Wäldern, und das unberechenbare Wetter zwingdie Menschen, sich der Natur stark anzupassen. Doch diese - für Allennos - unkultivierten Gegenden haben eine wilde Schönheit, da hier Licht und Schatten ein beeindruckendes Spiel spielen.

Obwohl ein großer Teil von Allennos ans Meer grenzt, gibt es doch keine Stelle im ganzen Herzogtum, an der ein größeres Schiff landen könnte, da die rauhe See überall an Klippen und Steilküsten grenzt und zudem zahlreiche Riffe das Wasser unwegsam machen. Man sagt in Allennos, daß Mannannan, der Herr der Wellen, mit den anderen Göttern in Zwist gerriet und diese ihn bestraften, indem sie das Land vom Meer abtrennten und so den Gott von den Menschen trennten.

An zwei Seiten ist Allennos zudem von den Umzingelnden Bergen eingegrenzt, die eine natürliche Grenze von Tektoloi darstellen - die einzige Himmelsrichtung, in der man das Land leicht verlassen kann, ist Machairas. In diese Richtung grenzt Allennos an Garian und Titanas an. Die Umzingelnden Berge sind von einer ungewöhnlichen Schroffheit und nur an wenigen Stellen zugänglich. An den meisten Stellen erheben sich gewaltige Felswände aus dem Boden und lassen jede Weiterreise unmöglich erscheinen. Es gibt jedoch im Ophis des Herzogtums vier Pässe auf die Umzingelnden Berge: Vom Bezirk Selos aus kann man den Sôlaìtrât, vom Bezirk Saratinar den Karkaìtrât in die Umzingelnden Berge nehmen. Vom Bezirk Indogas aus kann man über den Lésaìtrât nach Lesakus und über den Faraìtrât nach Fargonar gelangen. Die Bezirke Fargonar, Lesakus und Karkenor sind dabei nur über diese Pässe zu erreichen. Besonders für Karkenor ist dies hart: Obwohl man vom Bezirk aus die Festung Allennos im Tal zum Greifen nahe sieht, so muß man doch einen Umweg von vielen Wochen reisen, bevor man die Stadt erreicht. Zwei der vier Pässe wurden in den letzten Jahren zu Straßen ausgebaut. So beschwerlich jedoch die Reise in die Umzingelnden Berge ist, hat der beladene Wanderer erst den Weg in die Berge gefunden, so steht der Weiterreise nur wenig im Weg. So abweisend die Berge von unten aussehen, sind sie doch recht leicht zu bereisen, da sie aus vielen leicht zugänglichen Felsplateaus bestehen. Hier oben in den Umzingelnden Bergen, mitten im Bezirk Lesakus, entspringt auch der große Desoltagos, der mächtigste Strom von Tektoloi, der in Allennos auch "Golgred" genannt wird. Die Quelle ist ein Heiligtum des Erainns, und hier wurde auch ein Erainn-Tempel erbaut. Als kleiner Bergbach beginnend, schwillt der Golgred rasch an und stürzt dann viele hunderte Meter ins Tal, wo er dann durch die fruchtbaren Ebenen Tektolois fließt und eine natürliche Grenze zwischen den Herzogtümern Allennos und Titanas darstellt. Der Wasserfall ist ein Naturereignis von fast überirdischer Schönheit: Mit ohrenbetäubenden Getöse stürzen die Wassermassen hinab und kommen schäumend auf. In vielen Jahrhunderten haben sie einen tiefen See gegraben. Das Sonnenlicht glitzert und funkelt in den aufstobenden Wassermassen, und man sagt, daß auch hier eine Göttin wohnt: Eilydia, die Tochter Erainns.

 

Kapitel 2:Menschen und Kultur - Ein Überblick

 Wie ich in meinen "Geschichtsstudien" nachwies, haben sich in Allennos die Nachkommen der Einwanderer aus Karnikon mit scheuen Bergbewohnern, die die Siedler in den Umzingelnden Bergen antrafen - die Bergbewohner nannten sich selbst "Alhîji" -, vermischt, weshalb der durchschnittliche Allennose kleiner ist und dunklere Haar-, Augen- und Hautfarbe hat im Vergleich zum typischen Bewohner Tektolois. Aufgrund dieser Vermischung weist die allennosische Kultur einige Besonderheiten im Vergleich zum restlichen Kaiserreich auf.

Auch wenn unter Gebildeten, unter den Adeligen - vor allem am Hofe - und von Händlern vor allem Muranil gesprochen und auch Hoch-Denalgil beherrscht wird, so spricht doch die gemeine Bevölkerung einen merkwürdigen Dialekt, "Allennayi" genannt, mit ungewöhnlichen Neuerungen in Morphosyntax und Phonologie, der in den Ohren vieler Nicht-Allennosen provinziell klingt, jedoch von den Allennosen als Ausdruck der eigenen Unabhängigkeit aufgefaßt wird. Dies stellt ein besonderes Problem für den Reisenden dar, da Allennayi selbst für andere Bewohner Tekolois äußerst schwer zu verstehen ist, vor allem wenn man den Sprachklang nicht gewohnt ist. Der größte Teil der Allennosen beherrscht zudem keine andere Sprache, und die meisten, die eine beherrschen, weigern sich, sie zu sprechen. So soll es schon vorgekommen sein, daß Reisende weit von Weg abgekommen sind, weil sie die Weganweisungen der Einheimischen nicht verstanden. Wenn jedoch ein solcher Reisender in eine Richtung irrt, in der Gefahr droht, erbarmt sich meistens ein Allennose und führt ihn zurück zum Weg.

Im Gegensatz zum aufgeschlossenen Klima in Miktonos und auch zu den Herzogtümern und Grafschaften Tektolois ist Allennos - besonders in den Umzingelnden Bergen - noch etwas rückständig. Auch wenn sich in den letzten Jahren einiges geändert hat, besteht noch viel Aufholbedarf. Die Festung Allennos ist das kulturelle Zentrum Allennos’ und hat sich in den letzen Jahrzehnten am meisten verändert. Hier dominiert das Handwerk, das in Zünften organisiert ist. Außerdem gibt es hier viele reiche Händler, die bis 414 n.P. von dem freien Handel, der in einer reichsübergeifenden Zunft zusammengefaßt ist, profitieren. 415 n.P. fielen die allennosischen Händler in eine tiefe Krise, als der Getreidemarkt zusammenbrach. Viele Händler gingen bankrott, und es bleibt zu hoffen, daß sich die Übriggebliebenen in den folgenden Jahren wieder erholen. Das restliche Allennos ist ländlich geprägt, mit vielen kleinen Dörfern.