MYRA

 DWO_Drkhr

Der Wilde Ophis

Vor einigen Wochen bot sich mir die einmalige Gelegenheit, endlich qualifizierte Berichte aus erster Hand über das Forschungsgebiet, das mich schon so lange beschäftigt, zu bekommen. Ich wurde gebeten, meine Lehrlinge als Dolmetscher für eine diplomatische Mission zu den Krötenmenschen abzustellen. Was Ihnen dort gelang, überstieg meine kühnsten Hoffnungen. Doch lesen Sie selbst!

Im Dienste Pollathans 25. Jijar 418n.P.
 Adain Ivenor

Lieber Meister!

Wir haben unsere Mission ohne größere Probleme durchführen können. Die Krötenmenschen behandeln uns höflich und direkt, auch wenn sie, um nach Onsatis zu kommen, welches sie jetzt übrigens Krlpssst nennen, uns ein sehr hartes Marschtempo aufgezwungen haben. Als wir sie darum baten, haben sie es jedoch reduziert. Überhaupt überraschte es uns, wie viele Krötenmenschen doch Denalgil sprachen. In Onsatis wurden wir freundlich aufgenommen und konnten an einem großen Empfang für einen wichtigen Kur-Tulmakpriester teilnehmen. Während dieses Empfanges kamen wir mit einigen Krötenmenschen ins Gespräch, unter anderem mit einem Händler Namens Klmmp (Akalummap). Seine Sippe reist regelmäßig durch den großen Dschungel im Ophis. Ich erzählte ihm, wie gerne ich auch einmal so eine Reise machen würde, um endlich einmal dieses unbekannte Land etwas besser kennenzulernen. Er blickte mich an, zögerte einen Moment, und lud uns ein, mit ihm zu reisen, wenn er sich wieder auf den Weg machen würde. Er müßte das zwar noch mit den ztändigen Stellen abklären, doch denke er, es sollte möglich sein. Seinem Ruf als Händler exotischer Waren wäre es zuträglich, meinte er, wenn zwei Fremdlinge mit ihm reisen würden. Allerdings sei der Dschungel äußerst gefährlich, doch würde er ihn gut kennen. Ja, lieber Meister, bei diesem Angebot stockte mir der Atem, und ich schwankte einen Moment zwischen dem Bedürfnis, heimzukehren, und der einmaligen Chance, die sich hier bot. Nun, ich denke, ich habe in Eurem Sinne entschieden, auch wenn Ihr nun für eine unbestimmte Zeit auf unsere Hilfe verzichten müßt. Wir werden versuchen, Euch regelmäßig Botschaften über unsere Beobachtungen zukommen lassen, aber ich fürchte, dies wird nur sehr unregelmäßig der Fall sein. Dennoch seid gewiß, daß wir im Dienste und im Schutze Pollathans unseren Weg beschreiten und seid ganz herzlich gegrüßt von

Eurem Oy'lon Yaphrasil

P.S.: Anbei liegt noch ein Brief von Karyon, der Euch gerne von seiner Begegnung mit einem merkwürdigen Wesen berichten wollte.

Verehrter Meister!

Gestern Nacht hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis, welches wie keines die Eigenart dieser seltsamen Gegend, durch die wir reisen in Worte faßt.

Es war spät in der Nacht, und eine große Ruhe hatte sich über die Wagenburg gelegt. Aus irgend einem Grund verspürte ich das Bedürfnis, aus der Enge des Wagens auszubrechen und für einige Zeit mir die Beine zu vertreten. Klmmp hatte uns gewarnt, den Kreis der hohen Reisewagen nicht zu verlassen, da der Dschungel wild und voller Gefahren sei. So schritt ich nur einige Male um das Rund der Wagen herum, wo in regelmäßigen Abständen Krötenwachen standen, die mir freundlich zunickten. Es war eine sternklare Nacht, erfüllt von den geheimnisvollen Geräuschen des Dschungels. Es ist seltsam, daß dieser Dschungel nie zur Ruhe kommt, immer ist er laut, erfüllt mal mit unirdisch hohen Tönen eines unbekannten Insekts, dann wieder mit dem finsteren Gebrumm eines großen Jägers. Wir hatten auf einer kleinen Lichtung halt gemacht, auf der hüfthohes Gras stand. Ich strich also durch die Halme und genoß den würzigen Geruch des Dschungels, als plötzlich, zum ersten Mal auf dieser Reise durch den Dschungel, alle Geräusche erstarn. Ich blickte auf, und konnte plötzlich den Mond und die Sterne nicht mehr sehen. Über mir war Dunkelheit, nichts als Schwärze, und mit einem Mal schien es mit, als ob ein kühler Lufthauch um mich streichen würde, obwohl es eine warme Nacht war, und sich bisher kein Wind geregt hatte. Ich wollte mich umblicken, doch sah nichts als Dunkelheit. Auch konnte ich mit einem Mal kein einziges Glied rühren, wie erstarrt stand ich da. Ich fühlte einen Sog, der bis in das innerste meiner Seele ging, ich löste mich auf, ich verging. Doch da, mit einem Mal wurde ich an einen Widerstand geworfen, der einen Schmerz von so unerträglicher Stärke in mir auslöste, einen Schmerz, der in alle Zellen meines Körpers fuhr, einen Schmerz, der mich in eine schwarze Bewußtlosigkeit geworfen hätte, wenn er noch für einen Moment länger angedauert hätte. Ein gleißendes Licht blitzte hinter meinen Lidern, und auf einmal konnte ich die Sterne wieder sehen. Hallo, kleiner Bruder. Ich zuckte zusammen. Es war eine unbeschreibliche Empfindung, wie wenn eine Feder an der Innenseite meines Schädels entlangstreichen würde. Endlich bist Du gekommen. Wir haben lange auf Dich gewartet. Ich verspürte einen leichten Druck in meinen Schläfen. Folge dem Wächter, er wird Dich führen. Wer spricht da, wollte ich rufen, wo bist Du, welcher Wächter, doch meine Zunge war wie gelähmt. Die Zeit ist reif.

Plötzlich fiel die Erstarrung von mir wie eine Hülle, und ich fiel kopfüber ins hohe Gras. Auch der Druck in meinem Kopf verschwand, und ich begann unkontrolliert zu zittern. Da merkte ich, daß das Gras gefroren war, und der Boden, auf dem ich lag, mit einer Schicht Rauhreif bedeckt war. Es dauerte einige Zeit, bis ich die Kraft fand, mich zu bewegen. Aus der Wagenburg kamen ängstliche Rufe, in denen immer wieder das Wort "Drkhr" vorkam. Nach einiger Zeit fand mich dann ein Trupp verschreckter Kröten, geführt von Oy'lon. Als ich die Hand hob, um mich zu erkennen zu geben schrien die Kröten entsetzt auf und wichen zurück, als ob ich den Aussatz hätte. Nur Oy'lon trat näher und rief überrascht, "Was ist mit Deinen Haaren geschehen?"

"Warum, fragte ich, was soll mit ihnen geschehen sein?"

"Sie sind schneeweiß, genau wie Deine Augenbrauen," klärte Oy'lon mich auf. Und in der Tat, sooft ich mich seit dieser Nacht in einem Spiegel oder einem klaren Wasser sehe, blickt ein eigenartig junges Gesicht mit greisenhaft weißen Haaren zu mir auf.

"Was war das, fragte ich Klmmp, ich ging um das Lager, und mit einem Mal konnte ich mich nicht mehr bewegen und alles war dunkel."

Bleich und zitternd näherte sich Klmmp, und es war das erste Mal, daß ich in so aufgelöst gesehen hatte.

"Ein Wunder, quakte er, ein Wunder! Junger Schkkd, Du hast einen Drkhr getroffen, einen ausgewachsenen Drkhr, und Du lebst! In den 50 Jahren, in denen ich durch den Dschungel reise, habe ich so etwas noch nie erlebt, und auch nie davon gehört, daß so etwas möglich ist!"

"Warum ist das so ungewöhnlich, fragte ich, es war eigentlich nicht bedrohlich, eher unwirklich. Sind diese Drkhr denn wirklich so gefährlich?"

Stumm zeigte er zu dem großen Wagen hinter uns. Neben dem vorderen Wagenrad lag ein schrumpeliges, bleiches Etwas, daß mir vorher nicht aufgefallen war. Ich beugte mich darüber - und plötzlich erkannte ich daran das Antlitz der Wachkröte wieder, die mich vor Minuten noch freundlich gegrüßt hatte, zu einer Maske des Grauens erstarrt. In dem Moment verließen mich die Sinne.

Seltsame Träume suchen mich seit jener Nacht heim, ich irre durch endlose Gänge in ewiger Finsternis, meine Schritte hallen durch leere Korridore, und ich bin erfüllt von einer unendlichen Trauer, als hätte ich etwas so Kostbares verloren, wie ich es noch nie in meinem Leben besessen habe. Und über all dem das Gefühl von Alter, von der unendlichen Schwere der Zeit, die auf mir und diesen Hallen ruht, als würde sie seit Äonen hier stillstehen. Eigenartig stofflos bewege ich mich durch diese merkwürdige Umgebung, als würde ich nicht zu ihr gehören und doch immer tiefer in sie hineindringen.

Wenn ich dann mit einem Aufschrei aus diesen Träumen hochfahre, sieht mich Oy'lon seltsam an. Überhaupt ist er der Meinung, daß ich viel abwesender bin seit jenem Ereignis, aber ihr wißt ja, edler Meister, daß unsere Charaktere immer schon recht unterschiedlich waren.

Es grüßt Euch

 Euer Karyon Ayphysion