MYRA

 DWO_Die_singenden_Tuerme

Der Wilde Ophis

Der heutige Eintrag ist dem Alltag des Dschungellebens gewidmet. Denn es sind die gewöhnlichen, eben alltäglichen Dinge, die uns am meisten über ein Volk und seine Kultur sagen können. Wie es inzwischen ja schon zur Gewohnheit geworden ist, stammt der wesentliche Teil von meinen beiden Schülern, die aus erster Hand berichten können, wie das Leben im Dschungel aussieht und was seine Bewohner für Schwierigkeiten gegenüberstehen.

Ein weiteres wichtiges Detail aus dem Alltag der Bürgerinnen und Bürger von Zdkrrbgsrkgssklpn, wie sich das seltsame Konglomerat an unserer Ophisgrenze nennt, ist ganz offensichtlich jene regelmäßige Publikation, die sich Ktztssl (Krötenkurier) nennt. Meine Schüler haben mir jetzt erstmalig ein aktuelles Exemplar zugeschickt und ich habe sie angewiesen, sich sowohl um ältere Ausgaben als auch um die jeweils im zweimonatlichem Abstand neu herauskommenden Kuriere zu kümmern, so daß wir diese Zeitschrift vollständig bei uns in der Bibliothek von Allennos archivieren können.

Im Dienste Pollathans

Adain Ivenor
 Allennos, den 1. Kislew 418 n. P.

 

Lieber Meister!

Zu Eurer vor einiger Zeit geäußerten Bitte um Informationen aus dem Alltag der Dschungelbewohner kann ich nun eine wichtige Antwort geben. Wie so viele wurde sie bereitwillig gegeben, die Schwierigkeit war wie immer, die richtigen Fragen zu finden. Ich bemerkte also eher beiläufig gegenüber Klmmp, daß die meisten Dörfer, die wir besucht haben, nicht besonders alt zu sein schienen, und von geringer Kunstfertigkeit, was mich besonders überraschte, da die Ktznt bei der Verfertigung von Schmuckstücken, Spielzeug, Kunstgegenständen und Handelsgütern ein erstaunliches manuelles Geschick an den Tag legten. Da hätte man doch eigentlich meinen können, daß sie eine ähnliche Mühe auf ihre Behausungen verwenden würden. Klmmp blickte mich überrascht an und sagte, daß das natürlich wegen der Dschungelstürme sei.

 „Die Dschungelstürme, fragte ich erstaunt nach, was haben die denn mit der Bauweise der Dörfer zu tun?“

„Junger Freund, rief Klmmp, ihr seid schon so lange bei uns, daß ich vergesse, wie wenig ihr den Dschungel doch kennt. Die Dschungelstürme sind die große Geißel der Festlanddschungelbewohner. Aus heiterem Himmel brauen sie sich zusammen, grauschwarze Wolkenkegel, die wie gierige Tentakel auf die Erde niederschlagen und alles zerstören, was in ihren Weg gerät. Kein Haus ist vor ihnen sicher! Selbst die stärksten Mauern reißt der Dschungelsturm in Fetzen. Darum besitzt ein jeder Dschungelbewohner nur so viel, wie er tragen kann. Denn wenn die Sturmseher, von denen es in jeder Ansiedlung einige geben muß, die Warnung geben, muß ein jeder bereit sein, seine Heimstatt zu verlassen und dieser Naturgewalt aus dem Weg zu gehen. So macht sich dann die jeweilige Dorfgemeinschaft auf, um an einer anderen Stelle eine neue Siedlung zu errichten.“

„Gibt es denn nichts, was vor diesem schrecklichen Sturm sicher ist,“ fragte ich ihn.

„Nun, die heiligen Stätten, wie etwa der Tempel von Nktzpz, an die wagt selbst der Dschungelsturm sich nicht heran. Deshalb sind auch die einzigen Ruinen, die aus der Zeit der Alten noch im Dschungel übrig geblieben sind, die Überreste der alten Kultstätten, zum Beispiel die Ruinen des Tempel von Fldr (Falduir), die den Heilern von Chrt-Mtt (Achart-Omott) als Heimstatt dienen. Und so ist auch vieles, was für die Alten einmal selbstverständlich war, für immer vergessen und verschwunden, weil die Dschungelstürme es vernichtet haben.“

Dieses Gespräch stimmte mich nachdenklich, geliebter Meister, denn stellt Euch einmal vor, was das bedeutet! Was wäre Allennos, wenn die Naturgewalten die Feste hinwegspülten, mit unserer unbezahlbaren Bibliothek! Kein Wunder, daß uns die Ktznt wie kulturlose Barbaren vorkommen, leben doch große Teile von ihnen von der Hand in den Mund, immer auf der Wanderschaft, getrieben von den grausamen Launen des Dschungels.

 

Viele liebe Grüße,

Oy’lon

Verehrter Meister!

Auch wenn ich heute mich mit dem von Euch gewünschten Thema Alltägliches beschäftigen werde, zunächst noch eine kleine Anmerkung zu unserem letzten Brief: Die korrekte Schreibweise der lieblichen Frühlingsgöttin ist natürlich Mnn, nicht Meannea, welches die Aussprache ist. Ich nehme aber an, daß der Künstler meine Fremdheit bemerkte und aus Höflichkeit die Lautschrift verwendete.

Das letzte Dorf, in dem wir einkehrten, unterschied sich nicht wesentlich von den Wohnstätten der Ktznt im Dschungel, wie wir sie kennengelernt haben. Auf hohen Stelzen ragten die hölzernen Halbkugeln mit ihrer breiten Veranda aus einem kleinen Tümpel, in dem sich die munteren Bewohner tummelten. Zentrum des Dorfes war auch hier ein hoher Turm, von dessen höchster Spitze gerade laut und dumpf mehrere große Trommeln grollten. Dieser für die Ktzntdörfer so typische Anblick veranlaßte mich, endlich einmal einige Informationen über dieses seltsame Gebilde zusammenzutragen, die ich hier kurz zusammenfasse.

Die Singenden Türme von Kr-Tlmk

Jede kleine Dschungelgemeinschaft von Krötenmenschen hat ihren eigenen Trommelturm. Gut getarnt und die Baumwipfel überragend, ist er 24 Stunden am Tag besetzt. Der Turm erhebt sich oft direkt über einer Kultstätte von Kr-Tlmk. Getrommelt wird vor allem zur Übermittlung von Nachrichten, aber auch an großen Feiertagen zu Ehren der Gottheit (dringende Botschaften werden dann per Malakai oder Skorpionkauz weitergeleitet). Die Großen Tempel haben Trommelgarden, die eine jahrelange musikalische Ausbildung haben und alljährlich zum Kr-Tlmk-Tag den höchst athletischen Trommeltanz zu Ehren der Gottheit aufführen. Die Integration der Trommeltürme in die Verehrung Kr-Tlmks ist ein gutes Beispiel für das Geschick der Priester Kr-Tlmks bei der Missionsarbeit.

Die Trommeltürme sind seit Krötengedenken zentraler Bestandteil eines jeden Ktznt-Dorfes. Ursprünglich hatten sie Warn- und Schutzfunktion und markierten die Ausdehnung einer Siedlung („Wir kommen aus dem selben Trommelkreis“). Durch abendliche Trommelwirbel wurden gefährliche Nachttiere, wie etwa Skorpionkäuze und Brüllwölfe, aufgeschreckt und aus der unmittelbaren Umgebung der Siedlung verjagt. Auch konnten Ktznt, die sich im Dschungel verirrt hatten oder die Zeit vergessen hatten, sich so orientieren und vor Einbruch der Dunkelheit zurückfinden. Später, mit der Zunahme von Ackerbau und Landwirtschaft, gewann das Trommeln zunehmend religiöse Bedeutung. So wurden vor allem Wettergötter mit Trommelritualen verehrt, und der Xchtl (Xacahutl), der Große Donnertag zu Beginn des Frühlings am ersten Jaffdago des Nisan, ist eine allen Ktzntgemeinschaften gemeinsame Tradition. Mit dem zunehmenden Einfluß der Priesterschaft von Kr-Tlmk wurde das Trommelritual zur Verehrung Kr-Tlmks umdefiniert, doch je weiter man sich von den beiden Großen Tempeln entfernt, desto seltener und vager werden die Zeichen einer ernsthaften Verehrung Kur-Tulmaks.

Der Trommelmeister ist eine wichtige Person im Dorfleben. Er hat meist 3-4 Gesellen und ist nicht nur für die Kommunikation zuständig, sondern hat auch eine starke zeremonielle Funktion. Denn für alle wichtigen Ereignisse im Leben eines Krötenmenschen gibt es ein besonderes Trommelritual. Der Trommelmeister trommelt bei Paarungen, Geburten und Beerdigungen.

 

Es grüßt Euch,

Karyon Ayphysion