Die liebe Verwandtschaft
„Ich will nicht mit nach Miktonos! Das ist langweilig!“ Lerania stampfte wütend mit dem Fuß auf.
Seufzend sah Agleia Rabenfels ihre jüngste Tochter an. „Wir müssen aber“ , erwiderte sie. „Was soll denn Onkel Reggaias von dir denken, wenn du nicht zu seiner großen Feier kommst? Schließlich hat
er gerade seinen ersten Sohn bekommen, und solange Reggaias nichts passiert, wird Douardo irgendwann über Miktonos herrschen.“
„Warum bist du eigentlich nicht die Erbin von Großonkel Yldragos? Du bist doch schließlich älter als Onkel Reggaias.“ Erwartungsvoll sah Lerania sie an.
„Nun ja, das Erbfolgerecht sieht vor, daß der älteste Sohn der Nachfolger eines Adligen wird, und nur, wenn es keine lebenden Söhne mehr gibt, auch die Töchter erbberechtigt sind.“
„Aber Onkel Reggaias ist doch gar nicht der Sohn von Großonkel Yldragos, sondern nur sein Neffe.“
„Das stimmt. Eigentlich ja sogar nur sein Halbneffe, da Onkel Reggaias der Sohn der Halbschwester Theriana von Großonkel Yldragos ist. Und Theriana wiederum stammt aus der zweiten Ehe des Kaisers
Meniokos, der auch der Vater von Großonkel Yldragos war.“
„Das heißt, meine Großmutter war eine Prinzessin?“
„Ja, nicht das es meiner Mutter viel genützt hätte. Sie ist in den Kriegen der Trennung zusammen mit ihrem Mann ums Leben gekommen, kurz nachdem sie Reggaias zur Welt gebracht hatte. Großonkel
Yldragos hat Reggaias und mich dann bei sich aufgenommen. Er hatte ja keine eigenen Kinder, da er nie geheiratet hat. Nicht, daß wir ihn viel zu Gesicht bekommen hätten. Er hatte immer viel zu
tun.“
„Großonkel Yldragos hat nicht viele Verwandte, nicht war?“
„Nein, das hat er nicht. Sein Bruder, der Kaiser Auberian, hatte keine Kinder und Theriana, seine Halbschwester nur zwei, Onkel Reggaias und mich. Und ich habe dich und Elianthe und Merelik,
und jetzt hat Onkel Reggaias endlich auch einen Sohn.“
„Douardo ist also mein Cousin. Aber wieso ist er denn soviel jünger als wir? Ich meine, Elianthe und Merelik sind schon erwachsen, du hast selbst zu Vater gesagt, daß es Zeit wird, daß Elianthe
einen Mann nimmt, und Merelik ist schon lange hinter diesem Küchenmädchen her...“
„Wie bitte? Ich will doch stark hoffen, daß mein Herr Sohn nicht seinem Hause Schande macht. Schließlich wäre er mein Erbe; wenn Onkel Reggaias etwas zustoßen sollte, wäre ich die nächste in der
Reihenfolge, da zunächst die gleiche Generation berücksichtigt wird. Ich hoffe allerdings, daß dieser Fall nicht eintritt, Reggaias ist der einzige Bruder, den ich habe.“
„Und deshalb hat er uns auch eingeladen, richtig? Kannst du ihm nicht sagen, daß ich keine Lust auf alle diese Leute habe? Diese Feste sind immer langweilig, und Douardo ist noch viel zu klein, um
interessant zu sein.“
„Na ich glaube eigentlich nicht, daß die Feiern langweilig werden. Schließlich kommt auch die Verwandtschaft von Tante Larissa, und da kennst du bestimmt noch nicht alle. Außerdem hast du dich
doch auf der Hochzeit von Onkel Reggaias und Tante Larissa so nett mit dem einen jungen Mann unterhalten, vielleicht ist der wieder dabei.“
„Muß ich wirklich?“ Der Widerstand von Lerania wirkte nur noch halbherzig, und ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund, als sie sich an etwas zu erinnern schien.
„Ja, du mußt“, sagte Agleia fest. „Und nun komm, es ist noch so einiges vorzubereiten.“
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