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Der Nutzen von Töchtern
Allennos 391 n.P.
"Ich will ihn nicht heiraten, Vater! Ouardo ist dumm, aggressiv, herrschsüchtig und rücksichtslos. Ich werde jeden Tag hassen, den ich mit ihm verbringen muß! Du hast mir versprochen, daß ich
keinen Mann heiraten muß, wenn ich nicht will."
"Alysia, du weißt, wie es um unser Land steht. Wir stehen mitten im Bürgerkrieg, und wir brauchen die besten Krieger, die wir bekommen können. Ouardo Sotis ist ein hervorragender Ritter und
brillanter Stratege, und er hat um deine Hand angehalten. Wir können ihm diese Bitte nicht abschlagen, wenn wir seine absolute Treue wollen. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich ein Bezirk im
Bürgerkrieg von einem Herzogtum abspalten würde. Außerdem wird es Zeit, daß Du heiratest, und keiner Deiner Brüder hat schon Erben. Willst Du Deine Familie so im Stich lassen?
"Nein, Vater." Sie senkte beschämt den Kopf.
"Komm, es ist doch nicht der Weltuntergang. Er kann auch sehr charmant sein, und du wirst ihn kaum sehen. Selos wirst wohl vor allem du verwalten. Den Göttern sei dank, daß ich dem Rat meiner
Berater gefolgt bin und dich entgegen aller Traditionen so ausbilden ließ, daß du die Pflichten übernehmen kannst, die eigentlich Männer übernehmen sollten."
"Ja, ich weiß Vater. Aber warum ausgerechnet Ouardo Sotis?"
"Er ist - trotz seiner sonstigen Defizite - der beste Krieger weit und breit. Und Du bist sowieso viel zu jung, um dein Herz schon an einen anderen vergeben zu haben. Nun, wirst Du
zustimmen?"
Alysia biß die Zähne zusammen und unterdrückte die Tränen. Wenn Vater doch nur wüßte! Aber Halphur hatte nichts, was aus Vaters Sicht dem Land Vorteile bringen würde - weder Stand noch Macht noch
war er Ritter. Sie könnte ihn sowieso niemals heiraten. "Natürlich Vater - erst die Götter, dann Land und Menschen, dann die Familie und dann du selbst."
Allennos 413 n.P.
Mit leuchtenden Augen kam Zandreo Paradax, der Sohn Halphur Paradax', in die Bibliothek. "Larrissa, weißt Du, was mir Stys gerade erzählt hat? Er meinte, daß ... Was ist denn los? Du weinst
ja!" Er nahm sie in die Arme, und sie verbarg ihr Gesicht in seiner Schulter. "Was ist denn los, Larrissa?" Es erfüllte ihn mit großem Schmerz, sie so verzweifelt zu sehen, und mit
Verzweiflung, denn in seinem ganzen Leben hatte er Larrissa noch nie weinen sehen. Sie waren in den letzten Jahren zusammen mit Larrissas Schwester Kafrya, ihrem Vetter Phirestas und ihrer Base
Andreana unterrichtet worden - er, weil er Halphurs ältester Sohn war und deshalb der Nachfolger seines Vaters werden sollte, sie, weil der Herzog befand, daß seine Kinder und Nichten fähig sein
sollten, ein Land zu verwalten. Phirestas hatte - bis zu seinem tragischen Tod im letzten Jahr - nach dem Unterricht immer noch Waffenübungen veranstaltet. Kafrya und Andreana verschwanden immer
zusammen im Garten der Festung, und so blieben Larrissa und er immerrig. Nach und nach hatten sie auch immer mehr Zeit so verbracht, denn sie hatten festgestellt, daß sie zum größten Teil
ähnliche Interessen hatten und sich gegenseitig im Denken ergänzten. Aus gegenseitiger Wertschätzung war Freundschaft geworden und aus Freundschaft Liebe. Hier war ihr geheimer Treffort, der
einzige, an den Larrissas Zofen ihr nicht folgten.
Sie hofften nur, daß der Herzog ihr erlauben würde, Zandreo zu heiraten. Larrissa war sich nicht so sicher. Sie wußte, daß ihre Mutter aus rein politischen Gründen an Ouardo Sotis verheiratet
worden war, und fürchtete, daß man auch von ihr eine Heirat von politischem Nutzen verlangen würde. Und er und sein Vater waren in Zeiten wie diesen, in denen nur die Tüchtigkeit eines Mannes,
aber nicht seine Klugheit und sein Wissen zählten, nicht gefragt. Dennoch hoffte Zandreo, daß bei der zweiten Tochter der Schwester des Herzogs eine Ausnahme gemacht wurde - sie war ja nicht so
wichtig. Und wenn schon - Larrissa hatte zwar Skrupel, aber er nicht. Er wußte, daß sie die einzige Frau war, die er je lieben würde.
"Was ist denn los?" fragte er nochmals zärtlich. Und dann teilte sie ihm die schreckliche Nachricht mit, die ihr Glück für immer zerstörte: "Zandreo, mein Vater ist nicht Ouardo
Sotis. Mein Vater ist Halphur Paradax."
Allennos 414 n.P.
"Zandreo, was ist los? Du siehst so ernst aus."
"Ich komme, um Abschied von dir zu nehmen."
"Abschied?"
"Abschied. Ich werde morgen im Tempel des Erainn initiiert."
"Du willst in den Tempel gehen? Das kannst Du mir nicht antun! Wir werden uns nie wieder alleine sehen! Bitte, Zandreo, tu es nicht!" Zum zweiten und letzten Mal in ihrem Leben brach
Larrissa in Tränen aus. Erst war ihr jegliche Hoffnung auf eine Ehe mit dem Mann, den sie liebte, genommen wurde, und nun würde ihr dieser Mann auch noch ganz genommen werden. Auch Zandreo traten
Tränen in die Augen.
"Verstehst du denn nicht? Ich kann es nicht ertragen, dich jeden Tag sehen zu müssen, ohne dich berühren zu dürfen. Und nun, da du fünfzehn bist, wirst du bald einen anderen heiraten
müssen."
"Ja, ich verstehe. Aber ich liebe dich so sehr. Ich werde nie ohne dich glücklich sein. Wenn du gehst, geht mein Herz mit dir."
"Und meines bleibt hier. Ich werde dich immer lieben, auch im Tempel. Vergiß das nie."
"Nein, ich werde es nie vergessen."
Behutsam wischte er ihr die Tränen aus dem Gesicht und küßte sie zärtlich. Dann lächelte er ihr ein letztes Mal zu, drehte sich um und verließ den Raum.
Allennos, 416 n.P.
"Larrissa, Larrissa!" Das kleine, wuselige Geschöpf schoß über den Hof, als es die edle Dame mit ihren Begleitern in den Hof kommen sah, und sprang in ihre Arme. Larrissa schloß das
kleine Mädchen liebevoll in die Arme und drückte es an sich. Munter plapperte die Kleine los: "Ich darf mit Halys und Phirestas nach Saratinar, und Halys sagt, ich darf dort soviel reiten
und Ritter spielen, wie ich will ..." Larrissas Gedanken begannen zu schweifen, in Tage, die schon lange vorüber waren ...
"Schon wieder eine Tochter!" brüllte Ouardo Sotis, der beste Heerführer des Herzogtums Allennos. "Ich brauche Söhne, Frau! Krieger, die mit mir nachfolgen, die mit mir in den Krieg
ziehen, und alles, was Du mir schenkst, sind Töchter!" "Papa, Papa, ich kann Krieger werden, so wie Douardo!" rief die Vierjährige begeistert. "Ach, sei still, dummes
Gör!" herrschte er sie an. "Davon verstehst Du nichts! Töchter sind nutzlos! Keiner braucht eine Tochter!" "Warum bin ich nutzlos?" Larrissa brach in Tränen aus.
"Ach, laß doch das arme Kind zufrieden, Ouardo!" seufzte Mutter. "Schweig, Weib! Und Du auch, Larrissa" schrie Vater und erhob seine Hand zum Schlag. "Laß sie",
wiederholte Mutter scharf. Der Ritter ging mit drohender Gebärde auf seine Frau zu, die nur ruhig dastand und ihm in die Augen sah. Ein paar Minuten lang starrten sie einander in die Augen, bis
der Ritter aufgab und wütend kehrt machte.
"Larrissa, es tut mir leid, du kannst nicht mehr hierherkommen", sagte der Rittmeister. Dein Vater ist der Ansicht, daß es Zeit für Dich wird, zu lernen, dich wie eine Tochter des Hauses
D'Aleph zu benehmen, und daß deine Zeit hier dich zu sehr verdirbt. Kein würdiger Mann wird dich heiraten wollen, wenn du wie ein Mann gehst und Waffen schwingst." "Aber warum
nicht?" fragte Larrissa verzweifelt. "Ich benehme mich doch sonst immer angemessen?" "Es ist Tradition und Sitte, und es ist der Wille deines Vaters. Es tut mir leid."
Larrissa schluckte. Ihr Vater verbat ihr systematisch alles, was irgendwie Spaß machte. Stattdessen wollte er sie in eine Welt des sinnlosen Auswendiglernens von Versen, von ewigen Hofritualen
und des innhaltslosen Lächelns verbannen. Warum durfte Douardo immer alles? Sie mußte plötzlich mit den Tränen kämpfen, denn sie wußte, warum. Eine Frau war nutzlos außer als Kleinod ihres
Mannes. Die einzige Möglichkeit, der Welt von Nutzen zu sein, war, indem sie möglichst viele Söhne gebar. &quoch verstehe", sagte sie mit erstickter Stimme. Doch es gelang ihr, die
Fassade der Unbekümmertheit zu wahren. Sie neigte den Kopf zum Abschied und verließ die Ställe.
"Larrissa, ich muß mit dir sprechen." "Ja, Halphur, was ist?" "Bist Du in Ordnung, Kleines? Du siehst immer so blaß aus in letzter Zeit. Und unglücklich." "Ja,
warum auch nicht?" antwortete sie trotzig. "Ich bin ja sowieso zu nichts nütze. Nicht mal eine gute Partie werde ich später werden, grau und häßlich wie ich bin!"
Haphur lächelte und strich ihr übers Haar. Larrissa entspannte sich. Er war außer Mutter und Taria der einzige Mensch, dem sie alles anvertrauen konnte, und er behandelte sie immer wie eine
Tochter, die würdig und klug war. Warum konnte Vater nicht so sein? Er sprach mit ruhiger Stimme: "So häßlich bist du gar nicht. Ich bin sicher, daß du später einen würdigen Mann finden
wirst. Und auch nicht nutzlos. Offiziell haben Frauen zwar nicht viel Nutzen, doch schau dir an, was die edlen Damen am Hof alles leisten: Eine fähige Dame eines Herrn ist eine gute Unterhalterin
- belesen in der Geschichte des Landes, in den Legenden und Mythen; sie kann mehrere Instrumente spielen; sie kann singen; sie kann mit wildfremden Leuten eine angenehme Abendunterhaltung führen
und - was noch viel wichtiger ist - Spannungen zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft überspielen und ausgleichen, damit diese nicht oder an einem angemesseneren Ort ausgetragen werden. Aber das
ist nicht alles: Die Dame ist auch der Vorstand über den Haualt, und dies ist eine schwerwiegende Aufgabe, die viel Können voraussetzt, vor allem in Zeiten wie diesen. Und schließlich ist die
Dame in Abwesenheit ihres Herrn - was seit Beginn des Bürgerkrieges fast immer ist - und manchmal auch in seiner Anwesenheit seine Vertreterin in allen Geschäften und Ämtern. Du siehst also,
Larrissa, daß eine edle Dame für ihr Haus äußerst wichtig ist. Es ist zwar üblich, Frauen nicht entsprechend auszubilden, da dies nicht den althergebrachten Traditionen entspricht, aber dies kann
sich in Zeiten wie diesen bitter rächen. Das Haus D'Arybion hat den Fehler gemacht, seinen Töchtern keine Beachtung zu schenken, und als seine Söhne starben, starb kurz darauf auch das Haus.
Deshalb achtet auch das Herzogshaus seit einigen Generationen mehr auf seine Töchter."
"Aber mein Vater hat mir verboten, mich in den Lernhallen aufzuhalten." "Dein Vater ist auch kein D'Aleph. Er ist ein Sotis. Hör zu: Die Traditionen wurden ursprünglich geschaffen,
um Ordnung und Frieden in Allennos zu schaffen. Deshalb beharren wir so sehr auf ihnen. Doch die Traditionen sollen den Menschen dienen, und nicht die Menschen den Traditionen, auch wenn sehr
wenige Menschen dies erkannt haben. Außerdem beruht unser Recht auf den Traditionen, und wenn sie zu sehr geändert werden, verlieren die Menschen den Glauben an Allennos. Zumindest ist das die
Einsicht, die die meisten Herzöge zu Allennos zu weisen Herrschern machte."
"Aber warum sagst du mir das alles?" "Deine Mutter hat mit mir gesprochen, und wir sind uns einig, daß die Gefahr, daß dein Bruder stirbt und deine Mutter keinen weiteren Sohn
bekommt, zu groß ist, als daß man die Ausbildung von euch Töchtern vernachlässigen dürfte. Deshalb wirst du wie jetzt auch die Pflichten einer Dame lernen, so wie es dein Vater wünscht."
"Pah, eine Dame!" "Unterschätze nicht die Macht desjenigen, der die höfischen Sitten beherrscht und sich selbst stets unter absoluter Selbstkontrolle hat. In der übrigen Zeit wirst
du übrigens von mir mit den anderen unterrichtet werden." "Wir, unterrichtet? Mit Phirestas und Andreana?" "Ja."
Larrissa unterdrückte einen Fluch, als sie sich verzweifelt bemühte, ihr Korsett enger zu schnüren. "Ach, Taria, wozu mache ich das allen nur? Es ist doch sowieso alles sinnlos!"
"Wieso, mein Herz? So." Larrissas Zofe zog so kräftig an den Bändern des Korsetts, daß es Larrissa fast die Luft abschnürte und machte sich daran, dem Mädchen das Überkleid anzulegen.
"Ein Frau soll die treue Dienerin ihres Mannes sein, aber was ist der Nutzen davon? Und wozu lerne ich überhaupt noch etwas, wo ich doch schon weiß wie man sich anmalt und hübsch
lächelt?"
"Aber Herzchen, Frauen sind nicht nutzlos. Schau dir Kafrya und Andreana an."
"Ach weißt du, Taria, ich liebe die beiden ja über alles, aber manchmal neide ich ihnen ihr Glück. Sie sind beide so ausgeglichen und ruhig und glücklich. Und warum auch nicht? Sie sind
im Gegensatz zu uns anderen Frauen nützlich. Andreana wird einmal Herzogin. Und Kafrya ist für die Götter bestimmt - du weißt, daß es es vorhergesagt wurde - und wird den Göttern und den Menschen
dienen. Aber was ist mit mir?"
Taria schaute das Mädchen eine Weile lang nachdenklich an, bevor sie mit geübten Händen Larrissas Kleid zuzuknöpfen begann. Mit ruhiger Stimme antwortete sie: "Weißt Du, Larrissa, Kind,
das stimmt nicht: Glücklich sind die beiden nicht. Schau Andreana an. Du weißt, wie sie früher war: Sie interessierte sich nur für die Natur und ihre Gedichte, und alles, was sie wollte, war
einen edlen Ritter zu heiraten und mit ihm ein sorgloses Leben zu führen. Und nun ist Phirestas tot - du weißt, wie sehr sie ihn geliebt hat. Ihr Vater ist krank und sie hat die Verantwortung
über so viele Menschen, ohne daß sie es je wollte. Du weißt, wie hart sie in den letzten Jahren arbeiten mußte, und sie muß ständig unter all die fremden Leute, und die Verantwortung lastet
schwer auf ihr."
"Ja, das stimmt. Sie gibt sich die Schuld für die Niederlage gegen die Kröten und die Revolte und die Hungersnot." "Ja, siehst Du, und sie ist nicht dafür ausgebildet."
"Aber Kafrya!"
Taria begann, Larrissas Haar zu kämmen. "Kafrya wird einmal noch eine viel größere Verantwortung tragen. Und sie kann nie heiraten, obwohl alle Männer ihr zu Füßen liegen. Und sie wird
nie wieder ein hübsches Kleid tragen oder Zofen haben. Stattdessen wird sie selbst dienen."
Beschämt senkte Larrissa den Kopf. Doch dann blitzte sie Taria aus trotzigen Augen an: "Ja, gut. Sie haben beide schwere Pflichten, aber sie sind auch von Nutzen. Aber was ist mit mir? Wozu
bin ich nütze?"
Taria seufzte. "Ich hätte es dir schon längst sagen sollen, Herzchen. Wir werden versuchen, dich an einen Verwandten eines Fürsten des Kaiserreichs zu verheiraten, als Symbol des
Friedens und der guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Du wirst ungemein wichtig sein." Ja, als Kleinod eines Mannes, dachte Larrissa bitter. Sie kämpfte hart mit den Tränen. Also
war sie doch zu etwas nutze - zu dem, was Frauen immer nützen: zum Heiraten und Kinder Gebären. Und sie hatte noch nicht einmal die Wahl, wen sie heiraten wollte - wozu auch? Der, den sie wollte,
war ihr auf immer verwehrt. Und Liebe - Liebe hab es nur in den Geschichten. Warum bin ich nur eine Frau?
Ihre Gedankenflut wurde von Tarias Worten unterbrochen: "So, nun bist du fertig. Schau dich an." Sie hatte also nichts gemerkt - darin war Larrissa ja auch inzwischen Meister: ihre
Gefühle zu verbergen. Langsam hob sie ihren Kopf und sah in den Spiegel. Vor ihr stand eine Frau von fast ehrfurchtgebietender Schönheit. Ihr zierlicher, wohlproportionierter Körper steckte in
einem um die Taille eng geschnittenen Kleid, das um die Hüften breiter wurde und fließend zu Boden fiel. Es war aus feinster grüner Seide und unterstrich ihre leuchtenden, smaragdfarbenen Augen.
Ihre Haut war dunkel und samtig, und ihre Wangen hatten eine gesunde Frische. Ihre schwarzen Locken fielen ihr sanft bis an die Hüfte. Ihre Haltung zeugte von großer Anmut. Larrissa lächelte.
Wenigstens war sie inzwischen die perfekte Dame, von der Halphur gewollt hatte, daß sie sie wurde.
"... Und Beron hat gemeint, ich darf bald nicht mehr reiten und Ritter spielen, weil eine Dame das nicht tut. Er sagt, Mädchen seien nutzlos. Bin ich nutzlos, Larrissa?" Larrissa drückte
ihre Schwester fest an sich. Zehn Kinder hatte ihre Mutter geboren. Immer wieder hatte ihr Mann sie geschwängert, ohne Rücksicht auf ihren Körper, auch wenn die letzten drei Kinder Totgeburten
gewesen waren, nur in der Hoffnung, doch noch einen Sohn zu bekommen. Immer hatte er seine Töchter gehaßt, weil sie nutzlos waren - eben keine Söhne. Und dieses kleine Geschöpf hier hatte
schließlich den Körper ihrer Mutter endgültig ruiniert. Von dieser letzten Geburt hatte sie sich nie wieder richtig erholt und war dahingesiecht, bis sie nun letzten Winter gestorben war.
Gottseidank hatte die Kleine ihren Vater nie kennengelernt, und Mutter hatte sie gewollt und von ganzem Herzen geliebt. "Nein, du bist nicht nutzlos, Sandrya." - Und du sollst nicht
dieses grausame Leben haben, das wir hatten, voll von Plage, voll von Leid, ohne R&uuksicht auf die eigenen Bedürfnisse, immer im Dienst der Götter, des Landes und der Menschen, des Hauses,
solange bis nichts mehr übrig ist. Und immer mit dem Wissen, daß man nicht gewollt ist, nutzlos, nur ein Mädchen. Du sollst nicht so leben, Sandrya. Du nicht.
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