MYRA

 Das_Leben_in_der_Leibwache

Das Leben in der Leibwache

Was einem nicht so alles passieren kann. Vor einigen Monaten war ich noch ein einfacher Holzfäller, gerade im richtigen Alter, um langsam an eine Frau und eine Familie zu denken. Heute bin ich Brwynno, Mitglied der Leibwache des Hochkönigs Ælfwine von den Odenen.

Das klingt seltsam und ist noch nicht so vertraut. Aber es ist ja auch einiges passiert, seit Freiwillige gerufen wurden, die gegen die Drachen ziehen sollten. Anfangs waren wir zweitausend. Wir bekamen eine einen Monat währende Ausbildung an Waffen, mit denen ich sowieso schon umgehen konnte, andere nicht. Es waren einige Fischer dabei, die sich wirklich zu blöd dabei anstellten, eine Axt zu schwingen. Manchmal frage ich mich, wie solche Menschen heiraten können.

Nach der Ausbildung sind wir dann sofort gen Machairas gezogen. Alle waren gespannt darauf, erstes Blut zu vergießen, endlich einmal einem echten Drachen gegenüberzustehen und ihm ins Gesicht zu lachen. Um ehrlich zu sein gab es auch einige, die etwas nervös wirkten. Die Stimmung war durchweg gut, was nicht zuletzt den Kriegsbarden zu verdanken war, die mitzogen und uns immer wieder zum Mitsingen alter Schlachtlieder brachten. Das Wetter war auf unserer Seite und wir kamen gut voran.

 

Im Tammus stießen wir dann auf unsere Brüder vom Arm der Odenen, angeführt von BeortnoÞ. Kaum war die erste Begrüßung vorbei, hörten wir ein tiefes Brummen und Summen vor uns. Wir zogen weiter und trafen auf das Unvorstellbarste, das mir bis jetzt begegnet ist. Der Himmel verdunkelte sich und über uns waren Tausende von mannsgroßen Bienen. Einige der Männer brachen zusammen und lagen wimmernd auf dem Boden. Wenige rannten zurück in den Schutz der dichter stehenden Bäume. Die anderen standen so wie ich gebannt, mit offenem Mund, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, oder gar irgendwie geartete Bewegungen auszuführen. So starben denn auch viele, nicht in der Lage, sich vor den kräftigen Kiefern dieser Biester zu schützen, oder mit einem Stachel durch den Bauch.

 

Ich stand dabei und mußte hilflos mit ansehen, wie um mich herum meine Einheit ausradiert wurde. Die Männer des Arms der Odenen schienen trainiertere Reflexe zu haben, denn sie verteidigten sich hin und wieder gegen die Höllenkreaturen. Irgendwann, es schien nach einer Ewigkeit, hörte ich die Stimme von BeorthnoÞ. Ich erwachte irgendwie aus meiner Starre, zog mein Schwert und rannte dorthin, woher die Stimme zu kommen schien. Eine Gruppe von Reitern war dort auszumachen und das Zentrum der Männer des Arms. Etwas prallte an meinem Rücken ab und warf mich ein Stück voran, ich lief jedoch weiter, ohne mich umzudrehen. Einige wenige meiner Kameraden sah ich mit mir laufen, während die Bienen immer wieder aus dem Himmel herabstießen, um blutige Ernte zu halten. Ich mußte wieder und wieder über gefallene Kameraden springen, einem gab ich den Gnadenstoß. Dann endlich war ich bei den anderen, die sich zurückzuziehen schienen.

Vorneweg eine Art kleiner Schilderwall, sich rückwärts bewegend, dahinter einige hundert Mann. Es schien eine weitere Ewigkeit zu vergehen, bis das Summen nachließ und das Zittern aus meinen Gliedern wich.

Unsere Heerführer und etwa hundert Mann hatten es wohl geschafft. Das war alles, was von zweitausend Mann übrig geblieben war. Auch der Arm der Odenen hatte schwere Verluste einstecken müssen. Und das, obwohl wir noch nicht einmal Feindberührung gehabt hatten. Die Lobrede des Grimhpriesters auf die Toten klang nicht sehr überzeugt.

 

Der Marsch zurück nach Machaviik fand in einer sehr gedrückten Stimmung statt. Zwei der Barden hatten das Gemetzel überlebt, hatten jedoch keinen Erfolg mit ihren Liedern. Sie schienen auch nicht sonderlich erpicht darauf zu sein, zu singen. Viele wurden auf Bahren mitgezogen, hatten Verbände oder stützten sich auf Kameraden. Krieg war doch nicht ganz so glorreich, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Die Gesichter der Toten sahen nicht glücklich aus.

 

In Machaviik angekommen wurden wir vom König begrüßt. Er kam seinem Bruder entgegengeritten und nahm ihn in den Arm. Scheinbar ließ es ihn nicht kalt, ihn in den Krieg zu schicken. Warum hatte er uns nicht begleitet? Hätte das überhaupt einen Unterschied gemacht? Seite an Seite ritten sie dann zur Burg, gefolgt von den Überresten des einstmals so stolzen Heeres. Im Burghof sammelten sich die Mannen. Einige ließen sich zu Boden sinken, wo sie gerade standen. Ælfwine stieg auf ein Podest und hielt eine kurze Rede. Es habe ihn tief getroffen, was uns zugestoßen sei, er hätte nie mit so etwas gerechnet und uns dies nie zumuten wollen. Doch trotz dem übermächtigen Gegner, der nur durch dunkle Magie so tapfere Männer bezwingen konnte, wären wir zurückgekehrt. Das würde zeigen, daß das Herz eines Odenen der Gefahr trotze und auch der Niedergeschlagenheit. Wir hätten den Bienen aus den alten Geschichten in die Augen gesehen und würden noch leben. Die mutigen Männer des neu aufgestellten Heeres hätten nicht die Flucht ergriffen, sondern wären der Gefahr entgegengetreten. Das hätte eine Belohnung verdient. Er riefe heute aus, daß die Überlebenden des Rekrutenheeres zu einer Leibwache für den König – der Faust der Odenen –ausgebildet würden. Die Leistung, die wir gebracht hätten, müßte geehrt werden und wie ginge dies besser, als dem König unseres Landes direkt unterstellt zu sein. Die beiden Heerführer rief er nach vorne. Sie verbeugten sich und er nahm ihnen den Schwur ab, ihm treu zu dienen und seinen Leib mit ihrem Leben zu schützen. Daraufhin rief er hunderte von Dienstboten mit Essen und Met herbei, die sich um die Soldaten kümmerten. Wir sollten jetzt feiern, daß wir noch in der Lage wären, beim nächsten Mal die Bienen als Opfer an Grimh darzubringen und unsere gefallenen Kameraden bei Grimh hören lassen, daß wir sie ehren würden. Daraufhin hob ein einzelner Kampfschrei an, in den andere einfielen, bis der Burghof widerhallte vom Gebrüll der Männer.

Am nächsten Tag wurde uns ein Quartier in der Burg zugewiesen. Die meisten von uns waren kaum in der Lage, sich ein Bett auszusuchen, seien es die Nachwirkungen des Kampfes oder des gestrigen Abends. Penri und Twynog, denen es kaum besser ging als dem Rest, schworen uns dann einzeln auf den König ein. Wir leisteten den gleichen Schwur, den sie am gestrigen Abend getan hatten. Am nächsten Tag inspizierte uns der König. Er unterhielt sich mit den Verwundeten, machte hin und wieder einen Scherz und ließ sich die Namen von einigen meiner Kameraden sagen. Er schien sie sich tatsächlich merken zu wollen. Auf meine Frage hin, warum er dies tue sagte er: „Nun, ...“ und sah mich erwartungsvoll an. Ich nannte meinen Namen und er fuhr fort: „Brwynno, ich sollte doch zumindest die Männer kennen, von denen ich verlange, daß sie ihr Leben für meines geben. Niemand kann erwarten, daß ich mein Leben für jemanden gebe, den ich nicht kenne. Daher werde ich auch mit Euch trainieren. Ihr sollt wissen, für wen ihr kämpft, denn auf Euch muß ich mich verlassen können. Mein Leben könnte davon abhängen.“ Dabei lächelte er.

 

So langsam wird mir bewußt, warum er gerade uns ausgewählt hat. Das erste, was wir lernten war, wie man sich am besten gegen die Bienen wehrt. Mit der Erfahrung, die der König aus den Gesprächen mit seinem Bruder und einigen der Männer hatte, ersannen sie Strategien, sich zu wehren und diese Kreaturen dorthin zu schicken, wo sie herkamen. Wir hatten diese Begegnung schon einmal hinter uns und waren noch am Leben. Damit waren wir mit dem Arm der Odenen die einzigen, die diese Erfahrung hatten, konnten also unserem König am Besten dienen, falls der einmal von Bienen angegriffen würde. Scheinbar stimmte das Gerücht, daß Høgnar Kris nur mit dem Leben davonkam, weil seine Leibwache ihn vor den Bienen schützte.

Jetzt werden wir weiter geschleift. Wir bekommen bessere Ausrüstung und einheitliche Uniformen. Jedem von uns wurde ein Kettenhemd versprochen, wenn wir die Ausbildung abgeschlossen hätten. Der König ist gar kein so schlechter Kämpfer, wie man immer sagt. Er steht mit uns auf dem Übungsplatz, wenn seine Regierungsgeschäfte ihm die Zeit lassen, er schwitzt mit uns und blutet mit uns. Er nimmt diese Sache ernst scheint mir. Mit der Zeit hat er die Loyalität aller Männer der Leibwache erworben. Einige Raufbolde hat er im Zweikampf besiegt und ihnen Manieren und Respekt beigebracht. Die Männer achten ihn ob der Ehrlichkeit, mit der er ihnen entgegenkommt. Wenn man ihn nach der Politik fragt, gibt er einem offen Auskunft und versucht, die Dinge so verständlich wie möglich zu erklären. Er wolle ja nicht, daß wir ihm wie Schafe folgen, sondern wissen würden, wofür wir mit unserem Leben stehen.

Ich glaube, ich fange an, ihn zu mögen, unseren so untypischen König. Er scheint kein echter Odene zu sein, bis man sein Herz kennt. Sein Mut steht hinter meinem nicht zurück und wer ihn sinnend auf den Zinnen seiner Burg erblickt hat, wenn er den Wellen lauscht, der weiß, daß er sein Land liebt. Sein Land und seine Leute.